Frühe Heidelibelle
Sympetrum fonscolombii
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Sympetrum fonscolombii ist eine holomediterran verbreitete Art und als Langstreckenwanderer in West- und Mitteleuropa oftmals nur sporadisch anzutreffen. Das Hauptverbreitungsgebiet der thermophilen Art umfasst die ariden und semiariden Gebiete Afrikas, Südwest- und Zentralasien sowie den mediterranen Raum (Dijkstra & Lewington 2006), aus dem immer wieder invasionsartige Vorstöße bis nach Mitteleuropa erfolgen. Der größte bisher bekannte und gut dokumentierte Einflug nach Mitteleuropa fand 1996 statt, als einzelne Gruppen der dispersionsstarken Art bis an die Ostsee und an die Südküste Großbritanniens vordrangen (Lempert 1997).
In Nordrhein-Westfalen deutet sich für die Art gegenwärtig ein offensichtlich klimatisch begründeter Statuswandel vom sehr seltenen Vermehrungsgast hin zu einem möglicherweise dauerhaften heimischen Faunenelement an. Noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts sind aus Nordrhein-Westfalen lediglich zwei Nachweise belegt, die sich auf die Fundorte Münster (Kolbe 1877, 1878a) und die Wahner Heide (Schmidt 1925) beziehen. Ein dritter Altnachweis mit der vagen Fundortbezeichnung „Rheinland“ (Albarda 1889) lässt offen, ob sich dieser auf das heutige Nordrhein-Westfalen oder die zur damaligen Rheinprovinz gehörenden Landesteile des heutigen Rheinland-Pfalz und Hessen bezieht. Ein weiterer vielfach zitierter Fundort stammt von den Rietberger Fischteichen bei Rheda-Wiedenbrück aus dem Jahr 1964 (Münchberg 1965).
Eine erste Häufung von Fundmeldungen datiert aus 1984, als im Süden der Niederrheinischen Bucht und in der Eifel fünf Fundorte bekannt wurden (Schmidt 1985c; Lempert 1987; Schmidt 1990a). Ein weiterer Einflug nach Nordrhein-Westfalen erfolgte offensichtlich 1991, als zeitgleich drei Fundorte aus dem westlichen Münsterland sowie ein weiterer aus dem Bonner Raum bekannt wurden (Schmid & Schmidt 1993). In Folge eines erneuten und offensichtlich sehr individuenstarken Einfluges nach Mitteleuropa wurden in der Bundesrepublik im Frühsommer 1996 insgesamt 95 Fundorte registriert, darunter zwölf in Nordrhein-Westfalen mit Schwerpunkten im Raum Düsseldorf-Mettmann, dem zentralen Münsterland, entlang der Lippe sowie im Großraum Paderborn (Lempert 1997). Zuzüglich weiterer Fundorte, die bei Lempert (1997) noch nicht berücksichtigt waren, lagen damit aus dem Jahr 1996 für mehr Messtischblätter Fundmeldungen vor, als aus dem gesamten Zeitraum zwischen 1950 und 1995.
Anders als bei zahlreichen anderen aus südlicher Richtung nach Nordrhein-Westfalen einwandernden thermophilen Arealerweiterern liegt der landesweite Verbreitungsschwerpunkt von S. fonscolombii nicht im klimatisch begünstigten Süden der Niederrheinischen Bucht. Vielmehr findet sich eine auffällige Fundpunkthäufung in einem Großraum, der im Süden durch die Stadt Düsseldorf und den Kreis Mettmann und im Norden durch die westlichen Ruhrgebietsstädte Duisburg, Oberhausen und Essen begrenzt wird. Naturräumlich liegt dieses Gebiet in der Kontaktzone von vier Großlandschaften, wobei der Schwerpunkt der gemeldeten Vorkommen auf den rechtsrheinischen Flächen und dem angrenzenden Niederbergischen Land liegt. Dabei bleibt gegenwärtig offen, ob es sich hier um einen „echten“ Verbreitungsschwerpunkt oder lediglich um eine Folge des guten Bearbeitungsstandes dieser Region handelt. Weitere regionale Fundpunkthäufungen finden sich im Raum Aachen, im zentralen Münsterland, entlang der Lippeaue und in der Senne. Aus anderen Naturräumen wie Teilen des Niederrheinischen Tieflandes, der Eifel und dem Siebengebirge sowie den zentralen Lagen des Bergischen Landes, des Sauer- und Siegerlandes und des Weserberglandes liegen weniger Fundmeldungen vor.
Grundsätzlich gilt S. fonscolombii als relativ scheue, schwer zu beobachtende Art, die an den Gewässern in Nordrhein-Westfalen meistens nur in geringer Individuenzahl auftritt. So betreffen fast 90 % der quantitativ auswertbaren Fundmeldungen Beobachtungen von weniger als zehn adulten Tieren. Höhere Individuenzahlen von 25 bis zu 100 Tieren wurden vorrangig während des Jungfernfluges registriert, wenn sich die frisch geschlüpften Tiere noch in ufernahen Hochstaudenfluren aufhalten. Hinsichtlich der Höhenlage der Fundorte ist erwartungsgemäß eine Präferenz für niedrigere und somit in der Regel wärmere Landesteile abzuleiten. Wiederholte Reproduktionsnachweise liegen bis in Höhenlagen um 200 m ü.NN vor, Imaginalnachweise ausnahmsweise auch aus Höhenlagen bis über 500 m ü.NN (Biotopteich an der Kläranlage Monschau-Kalterherberg [5403/3]).
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Die Analyse der gemeldeten Fundorte von Sympetrum fonscolombii lässt unschwer eine Präferenz für thermisch begünstigte Lebensräume erkennen. Dies gilt sowohl großräumig, hinsichtlich der allgemeinen makroklimatischen Lage der Gewässer als auch kleinräumig bezüglich der individuellen Gewässercharakteristika, wie z.B. Besonnung und Ausstattung. So findet sich ein deutlicher Schwerpunkt der Fundmeldungen in den Abgrabungsflächen der Sand-, Kies-, Ton- und Kalkindustrie sowie in den Auenlagen entlang von Rhein, Ruhr, Lippe und Weser. Der Großteil der Gewässer ist anthropogener und zum Teil sogar ausgesprochen technogener Natur (Bergsenkungsgewässer, Wassergewinnungs- und Regenrückhaltebecken, Klärteiche, Absetzbecken, Schlammteiche). Darüber hinaus werden auch naturnahe Lebensräume wie beispielsweise Moor- und Heidegewässer (Schmid & Schmidt 1993), Blänken sowie extensiv genutzte Fischteiche besiedelt. Auch Kleingewässer werden wiederholt als Fundorte gemeldet, und zwar gleichermaßen aus naturnahem Umfeld, von Golfplätzen, Industrie- und Abgrabungsflächen sowie von Truppenübungsplätzen. Trotz einer gewissen Häufung der Fundpunkte entlang der größeren Flussauen werden Fließgewässer nicht besiedelt, wohl hingegen sommerwarme flache Auengewässer. Hinsichtlich der Gewässergröße sind keine klaren Präferenzen erkennbar, da neben zahlreichen, mehr oder weniger großflächigen Gewässern auch Kleingewässer besiedelt werden. Das entscheidende Kriterium für die Eignung als Fortpflanzungsgewässer ist vielmehr dessen Wärmegunst und Thermik, die insbesondere in Abgrabungsflächen durch die Kessellage der Gewässerstandorte verstärkt wird. So werden bei Kleingewässern stark sonnenexponierte Gewässerneuanlagen mit frühen Initialstadien von beispielsweise Characeen- und Eleocharis-Rasen (Armleuchteralgen, Sumpfbinsen) bevorzugt, die bei zunehmender Beschattung durch aufkommende Röhrichtentwicklung wieder aufgegeben werden (z.B. Kordges 2006). In Ermangelung submerser Vegetation graben sich die Larven oft flach in den tonig-lehmigen Gewässergrund ein und sind dann unter Umständen nur schwer zu entdecken. Größere Fortpflanzungsgewässer sind in der Regel durch ausgedehnte, oft vegetationsarme Flachwasserzonen charakterisiert, die eine starke Erwärmung des Wasserkörpers und Sonneneinstrahlung bis auf den Gewässergrund gewährleisten und stark schwankende Wasserspiegel bis hin zur Gefahr des Trockenfallens aufweisen.
Bezüglich der hydrochemischen Parameter erweist sich die Art als sehr anpassungsfähig. Sie besiedelt eine breite Spanne von Gewässern, die von oligotrophen, regen- oder grundwassergeprägten Standorten bis hin zu eutrophen Klärteichen und von sauren Moorgewässern bis hin zu den Absetzbecken der Kalkindustrie reicht. Selbst durch ehemalige Bleigewinnung kontaminierte Absetzbecken werden von den Imagines als Flughabitat genutzt (Schmidt 1990a).
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Sympetrum fonscolombii ist in Mitteleuropa - zumindest in klimatisch günstigen Jahren beziehungsweise Regionen - eine bivoltine Art, deren Phänologiediagramm eine für bivoltine Arten typische zweigipfelige Verteilung aufweist.
Die Flugzeit beginnt in Nordrhein-Westfalen bereits Mitte Mai und reicht bis in die erste November-Dekade. Von allen hier vorkommenden Sympetrum-Arten besitzt S. fonscolombii entsprechend dem deutschen Namen damit gleichermaßen die früheste und längste Flugzeit, weshalb insbesondere jahreszeitlich sehr frühe Beobachtungen von Heidelibellen immer ein Hinweis auf die Art sein können. Das plötzliche Auftreten ausgefärbter Imagines Mitte bis Ende Mai ist meist auf aus Südeuropa eingeflogene Tiere zurückzuführen. Die zweite, durch Exuvienfunde quantitativ gut belegte Jahresgeneration rekrutiert sich daher sowohl aus den Nachkommen im Frühjahr oder Sommer eingeflogener Tiere als auch aus der vor Ort beziehungsweise in der Region geschlüpften bodenständigen Elterngeneration. Die Imagines der Frühsommergeneration erreichen bereits im Juni ihr Aktivitätsmaximum. Die wenigen aus dem Frühsommer gemeldeten Exuvienfunde stammen von in Mitteleuropa überwinternden Larven, was in der Regel jedoch nur in sehr wärmebegünstigten Gewässern vorkommt. Die Mehrzahl der Frühsommer-Meldungen bezieht sich auf eingeflogene Tiere. Der Schlupf der zweiten Jahresgeneration beginnt Mitte Juli, erreicht zwischen Anfang und Mitte September einen Höhepunkt und reicht bei milder Witterung bis in die erste November-Dekade, wenn erst stärkere Nachtfröste die anhaltenden Schlupfaktivitäten unterbinden. Entsprechend liegt das Aktivitätsmaximum der Imagines der Hochsommer- beziehungsweise Herbstgeneration zwischen Mitte August und Anfang Oktober. Die früheste Beobachtung gelang am 14.05.(2007), die späteste am 09.11.(1996).
Gefährdung und Schutz
Sympetrum fonscolombii gilt in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als „ungefährdet“ (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011).
In Nordrhein-Westfalen konnte sich die thermophile S. fonscolombii früher mangels dauerhafter Reproduktion nicht als fester Faunenbestandteil etablieren und galt in der seinerzeitigen Roten Liste Nordrhein-Westfalens zutreffend als seltener Vermehrungsgast (Schmidt & Woike 1986). Ob die aktuelle Zunahme von Fundmeldungen und entsprechenden Reproduktionsnachweisen auf nachhaltige, klimatisch begründete Ausbreitungstendenzen hinweist, bleibt vorläufig offen (Ott 2000; Rudolph 1998). Wenngleich die Art früher möglicherweise oft übersehen wurde, deutet vieles darauf hin, dass die Art hier noch nie so häufig war wie gegenwärtig. Möglicherweise ist sie im Begriff, sich zumindest regional längerfristig oder dauerhaft zu etablieren. In der Roten Liste aus dem Jahr 1999 (Schmidt & Woike 1999) wird S. fonscolombii landesweit als „vom Aussterben bedroht“ geführt und nur für das Niederrheinische Tiefland sowie die Niederrheinische und die Westfälische Bucht erwähnt. Entsprechend der jüngsten sehr positiven Bestandsentwicklung gilt die Art nun als ungefährdet (Conze & Grönhagen 2011), ob dies langfristig zu einer dauerhaft bodenständigen Besiedlung führt, bleibt abzuwarten.
In Anbetracht der geschilderten positiven Bestandsentwicklung ist die Notwendigkeit gezielter Artenschutzmaßnahmen nicht zwingend erkennbar und für die Art zumindest nicht vorrangig. S. fonscolombii steht aber stellvertretend für weitere Arten der Libellenzönosen sommerwarmer Flachgewässer, die eine ganze Reihe thermophiler und zum Teil gefährdeter Arten aufweisen. Lokal können daher Gewässerneuanlagen, die Entlandung eingewachsener Kleingewässer oder der Rückschnitt beschattender Ufergehölze wünschenswerte Artenschutzmaßnahmen darstellen. Wesentlich nachhaltigere Maßnahmen sind hingegen die Förderung flacher und damit sommerwarmer größerer Abgrabungsgewässer, eine Redynamisierung von Flusslandschaften sowie die Fortführung oder Wiederaufnahme einer traditionellen Teichwirtschaft zur Karpfenzucht, von der auch andere thermophile Sympetrum-Arten profitieren würden, wie zum Beispiel S. depressiusculum (Sumpf-Heidelibelle), S. pedemontanum (Gebänderte Heidelibelle) und S. flaveolum (Gefleckte Heidelibelle). Zwecks Dokumentation der zukünftigen Bestandsentwicklung böte sich ein Monitoring an, um abzuklären, ob die thermophile Art sich tatsächlich als dauerhafter Faunenbestandteil in Nordrhein-Westfalen etablieren kann. S. fonscolombii stünde dann in einer langen Reihe zahlreicher weiterer thermophiler Arealerweiterer, denen eine wichtige Indikatorfunktion für die vermutete Klimaerwärmung zukommt. Zu klären bleibt bei dieser Art auch, ob die Spätsommer- bzw. Herbstgeneration wieder in den Süden abwandert.