Kleiner Blaupfeil
Orthetrum coerulescens
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
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Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Orthetrum coerulescens ist eine atlantomediterrane Art, die in West- und Mitteleuropa weit verbreitet ist und auch Teile der Britischen Inseln und Skandinaviens besiedelt (Dijkstra & Lewington 2006). In den Niederlanden liegen die aktuellen Vorkommen vor allem im Süden (NVL 2002) und in Belgien in der Südosthälfte des Landes (de Knijf et al. 2006). In Deutschland liegen aktuelle Fundmeldungen aus fast allen Bundesländern vor (Müller & Schorr 2001), allerdings tritt die Art überall lediglich zerstreut auf. Die deutschen Verbreitungsschwerpunkte der Art befinden sich im Oberrheintal und im Alpenvorland dar (Kuhn & Burbach 1998; Sternberg & Buchwald 2000).
In Nordrhein-Westfalen kommt O. coerulescens vor allem im Rheinland vor, während im Landesteil Westfalen aktuell nur wenige zerstreute Vorkommen bekannt sind. Landesweit gilt die Art als selten. Gries & Oonk (1975) nennen für den westfälischen Landesteil lediglich drei historische Nachweise für den Zeitraum vor 1920. Bei Rudolph (1989) werden für Westfalen noch drei weitere Vorkommen genannt, während Kikillus & Weitzel (1981) für das Rheinland insgesamt 13 Vorkommen angeben.
Die nordrhein-westfälischen Verbreitungsschwerpunkte bilden die Sand- und Lößgebiete im Flachland. Zu nennen sind im Rheinland das Schwalm-Nette-Gebiet [4702/4], die Bergische Heideterasse mit der Wahner Heide [5108/2] sowie die Erftniederung zwischen Gymnich und Sindorf [5106/1], während für Westfalen die Kirchheller Heide [4407/1], die Borkenberge [4209/2] und die Senne [4118/3+4] hervorzuheben sind. Obwohl viele Populationen der Art in Nordrhein-Westfalen schon über einen längeren Zeitraum bekannt sind, gibt es nur wenige Bodenständigkeitsnachweise durch Exuvienfunde. Dies dürfte in erster Linie mit fehlender Nachsuche zu erklären sein. Viele der in den vergangenen Jahren bekannt gewordenen oder aktuell untersuchten Vorkommen erwiesen sich oftmals als ungewöhnlich groß und stabil. Dabei konnte auch festgestellt werden, dass einige besiedelte Gewässersysteme eine so hohe Populationsdichte aufweisen, dass Individuen der Art in die weitere Umgebung abwandern und vermutlich auf diese Weise auch neue Standorte besiedelt werden. O. coerulescens ist dabei in den letzten Jahren klimatisch begünstigt worden. Der Präferenz der Art für das Tiefland entsprechend liegen die Vorkommen fast ausschließlich in Höhenlagen unterhalb von 200 m ü.NN. Ohne Hinweis auf Bodenständigkeit konnte die Art auch im NSG Wollerscheider Venn in der Eifel [5303/4] auf 570 m ü.NN beobachtet werden.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen besiedelt Orthetrum coerulescens vor allem Gräben und kleinere Bäche, aber auch quell- oder grundwasserbeeinflusste Abgrabungsgewässer, Tümpel und Heideweiher. Die Gräben und Bäche weisen meist eine geringe Fließgeschwindigkeit auf und die geringe Wassertiefe führt zu einer raschen Erwärmung des Wassers. Die aus Nordwesteuropa bekannte Besiedlung anmooriger Gräben und Bäche - in Nordrhein-Westfalen beispielsweise aus der Wahner Heide oder den Borkenbergen bekannt - dürfte ebenfalls im Zusammenhang mit einer thermischen Begünstigung stehen.
Nach Jödicke et. al. (1989) befinden sich die Reviere der Männchen oft an Stellen, an denen Sicker- oder Quellwasser austritt und kleinere Gerinne entstehen. Im Gegensatz zu Orthetrum brunneum (Südlicher Blaupfeil) findet sich O. coerulescens vor allem an Gewässern, die am Ufer eine höhere Deckung der krautigen Vegetation aufweisen. Besiedelte Gräben und Bäche sind nicht selten von dichten Röhrichten aus beispielsweise Phalaris arundinacea (Rohrglanzgras) bestanden.
Nur von wenigen westfälischen Fundorten, wie beispielsweise dem NSG „Gagelbruch Borkenberge“ [4209/2] und einer angrenzenden Sandabgrabung [4209/2], ist das Vorkommen einer individuenreichen Population bekannt (Olthoff & Schmidt 2009). Hier konnte die Art erstmals 2002 im Bereich eines winterwarmen Abflusses, der aus einer angrenzenden Sandabgrabung stammt, in hoher Abundanz nachgewiesen werden. Ein weiteres bedeutendes Vorkommen im westfälischen Landesteil befindet sich in einem Abgrabungsgewässer in der Kirchheller Heide bei Bottrop (Menke & Conze 2005) und umfasst weit mehr als hundert Individuen.
Im Rheinland sind mehrere Fließgewässer- bzw. Grabensysteme bekannt, an denen die Art in hoher Individuendichte vorkommt. Zu erwähnen sind hier beispielsweise der anthropogen geschaffene Fürstenberggraben im Tagebaugebiet Frechen und der Füllesgraben in der Erftaue bei Gymnich, an denen aktuell Vorkommen von jeweils mehreren hundert Individuen nachgewiesen werden konnten (J. Rodenkirchen schriftl. Mitt.). In der Wahner Heide hat die Art in der Scheuerbachsenke [5108/2] ein gutes Vorkommen (D. Ferber mündl. Mitt. 2010). Bemerkenswert ist ferner das Vorkommen von O. coerulescens im Kalkflachmoor NSG Thielenbruch bei Köln [5008/2], wo mehrere Quellaustritte einen geeigneten Lebensraum für die Art darstellen.
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Die Flugzeit von Orthetrum coerulescens erstreckt sich in Nordrhein-Westfalen von Ende Mai bis Anfang September, Einzelbeobachtungen gelangen noch Mitte September. Die Hauptflugzeit ist dabei der Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte August. Die relativ lange Schlupfzeit beginnt Ende Mai und Exuvien können vereinzelt auch Anfang August noch gefunden werden. Der früheste nordrhein-westfälische Nachweis der Art stammt vom 20.05.(2009), der späteste ist auf den 14.09.(2008) datiert.
Gefährdung und Schutz
Orthetrum coerulescens gilt in Deutschland als „gefährdet“ (Ott et al. 2015) und steht in Nordrhein-Westfalen auf der „Vorwarnliste“ (Conze & Grönhagen 2011).
In Nordrhein-Westfalen ist O. coerulescens in den letzten Jahrzehnten besonders im westfälischen Landesteil an einigen Fundorten verschwunden. Allerdings konnten auch einige neue und zum Teil sehr individuenreiche Populationen entdeckt werden.
Mögliche Gefährdungsursachen sind Grundwasserabsenkung, Eutrophierung, Verkrautung und Verbuschung von Bächen und Gräben sowie die fortschreitende Sukzession und Verlandung an den Stillgewässern. Eine intensive Grabenräumung kann ein Vorkommen stark gefährden. Auch trockene Sommer können eine Gefährdung für die Art darstellen. So verschwand O. coerulescens im Jahre 2006 während einer Trockenphase im Hochsommer aus dem ausgetrockneten Graben im „Gagelbruch Borkenberge“, an denen die Art vorher individuenreich vorkam (Olthoff & Schmidt 2009).