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Orthetrum cancellatum
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Nachweise im Atlas:
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Anhang IV:
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Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Orthetrum cancellatum gilt als holomediterrane Art mit europäisch-westasiatischer Verbreitung (St. Quentin 1960) und ist im größten Teil Europas weit verbreitet und häufig. Das Areal reicht im Osten bis nach Nordchina, im Süden bis nach Nordafrika und im Norden bis nach Südskandinavien, in den Süden von Großbritannien und in das mittlere und westliche Irland (Dijkstra & Lewington 2006). In Deutschland kommt die Art nahezu überall vor, ist meist nicht selten und fehlt fast nur in den Hochlagen der Mittelgebirge (z. B. Schwarzwald, Harz, Bayerischer Wald) und der Alpen (Kuhn & Burbach 1998; Sternberg & Buchwald 2000). Besonders dicht besiedelt sind im Wesentlichen die Flusstäler, was neben klimatischen Faktoren auch auf ein großes Angebot von Gewässern infolge von Sand- und Kiesabbau zurückzuführen ist (Gries & Oonk 1975; Schorr 1990).
Auch in Nordrhein-Westfalen ist O. cancellatum weit verbreitet und gilt als häufig. Nur in den höheren Lagen der nordrhein-westfälischen Mittelgebirge tritt die Art stärker zurück (Gries & Oonk 1975; Kikillus & Weitzel 1981). So ist O. cancellatum beispielsweise im nordwestlichen Sauerland nur spärlich an größeren Gewässern in den Niederungen von Ruhr, Lenne, Hönne, Ennepe und Kerspe (Bußmann 2000; hagen 1980) und an der Möhnetalsperre (Heitzig 2013) nachgewiesen. Besonders in den zentralen Bereichen des Süderberglandes ist O. cancellatum sehr selten und bislang nur vereinzelt beobachtet worden, z. B. im Ebbegebirge. Im Kreis Siegen-Wittgenstein ist dagegen eine Zunahme und Ausbreitung seit 1986 dokumentiert (Schlüpmann 2000b; Belz & Fuhrmann 2000). Aus dem Weserbergland liegen vergleichsweise wenige aktuelle Meldungen vor, was aber zum Teil auf einen geringeren Erfassungsgrad zurückzuführen sein dürfte. Die dortigen Fundorte konzentrieren sich vor allem auf die Niederung der Oberweser und ihrer Zuflüsse (Lohr 2010).
Was die historische Verbreitung von O. cancellatum angeht, ist zu vermuten, dass die Art auch in der Vergangenheit zumindest in Westfalen mit relativ vielen Vorkommen und einer hohen Populationsdichte vertreten war. So wird O. cancellatum für das Stadtgebiet Münster in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts als „nicht selten“ angegeben (Kolbe 1878a). In der Umgebung von Bielefeld war sie Anfang des 20. Jahrhunderts „häufig“ (Kriege 1914) und im NSG Heiliges Meer [3611/2+4] in den Jahren 1937 und 1939 „zahlreich“ (Beyer 1956).
Le Roi (1915) hat O. cancellatum für das Rheinland dagegen als „lokal und meist nicht häufig“ beschrieben. Seit etwa Ende der 1960er Jahre gehört O. cancellatum zu den Arten, für die in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Häufigkeitszunahme zu verzeichnen ist. Diese korreliert mit der Zunahme an geeigneten Fortpflanzungsgewässern, wie Baggerseen sowie Kies- und Tongruben (Kikillus & Weitzel 1981; Jödicke et al. 1983, 1989; Sennert & Thomas 1991). Der Präferenz für die Niederungsbereiche entsprechend besiedelt die Art überdurchschnittlich stark Höhenlagen unterhalb von 100 m ü.NN. Sie findet sich jedoch auch im höheren Bergland, wo Beobachtungen – auch mit Bodenständigkeitsnachweis bis 580 m ü.NN (NSG Dahlemer Binz [5505/3]) gelangen.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Orthetrum cancellatum zeigt eine Präferenz für größere und ausdauernde Gewässer wie Altarme in den Flussauen, Weiher, Teiche, Seen, Abgrabungen, neugeschaffene Naturschutzgewässer sowie weiherartige Bachstaue mit zumindest teilweise vegetationsfreien oder vegetationsarmen, sonnenexponierten Uferbereichen sowie Kiesinseln oder Schlammbänken und offenen Wasserflächen (Kordges 2000; Schlüpmann 2003). Im Hagener Raum wurden mehr als 80 % aller Vorkommen an Gewässern mit einer Größe von mehr als 1 000 m2 beobachtet, während kleinere Tümpel unter 100 m2 nur vereinzelt als Fortpflanzungshabitat dokumentiert sind. Langsam strömende Abschnitte von Fließgewässern, wie Bächen, Tieflandflüssen und Gräben mit offenen Ufern, werden ebenfalls angenommen. Zum überwiegenden Teil sind die besiedelten Gewässer ungenutzt und befinden sich in Ruderalflächen oder im Grünland, wo auch durch Viehtritt häufig offene Uferstellen geschaffen und dauerhaft erhalten bleiben. Als wärmeliebende mediterrane Art meidet O. cancellatum schattige oder halbschattige ebenso wie sommerkühle von Quellen oder Bächen stark beeinflusste Gewässer. Optimalhabitate weisen meist eine mäßige Strukturvielfalt und eine Vegetation mittlerer Deckung auf, vor allem Kleinröhrichte mit beispielsweise Phalaris arundinacea (Rohrglanzgras), die von den Larven bei der Emergenz genutzt werden. Tauchblattpflanzenbestände (v. a. Potamogeton-Arten) oder Algenwatten dienen den Weibchen bevorzugt zur Eiablage, müssen aber nicht dominant sein. Die Männchen nutzen gerne Steine und Rohböden, bei höheren Temperaturen auch Pflanzenstängel und Zweige als Sitzwarte (Krüner 1977; Schlüpmann 2000a, 2003). O. cancellatum ist relativ tolerant gegenüber einer weiten Spanne hydrochemischer Parameter (Schmidt 1991), Nitritgehalte bis 0,25 mg/l und Ammoniumgehalte von 2 mg/l wurden in Fortpflanzungsgewässern gemessen (Schlüpmann 1993). Die Larven meiden allerdings stärker saure Gewässer (Kikillus & Weitzel 1981). Für die Art ist es wichtig, dass in ihrem Larvalhabitat genügend Flachwasserzonen mit geringer oder fehlender Faulschlammbildung vorhanden sind, da die Larven die letzten Wochen vor der Emergenz eingegraben verbringen. In größeren Gewässern sind diese Bedingungen meist gegeben, weil sich die Faulschlammbildung oft auf die tieferen Bereiche beschränkt.
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Die Flugzeit von Orthetrum cancellatum erstreckt sich von Anfang Mai bis Ende September. Die Hauptflugzeit stellt dabei der Zeitraum zwischen Ende Mai und Ende August, mit zwei Höhepunkten Mitte Juni und Ende Juli, dar. Diese „zweigipfelige“ Flugzeit, die auch in anderen Veröffentlichungen erwähnt wird (Maibach & Maier 1987; Gabb & Kitching 1992), lässt sich durch die Möglichkeit einer nur einjährigen Entwicklung der Art unter günstigen Bedingungen erklären. Die im Mai und Juni schlüpfenden Tiere würden dann zu einer Gruppe von Individuen mit zweijähriger Entwicklung gehören, während die später im Jahr schlüpfenden Tiere bereits nach einer einjährigen Larvalzeit ihre Entwicklung vollenden. Der früheste Nachweis stammt vom 02.05.(1990), der späteste hingegen vom 19.10.(2006).
Gefährdung und Schutz
Orthetrum cancellatum gilt in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als „ungefährdet“ (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011).
Eine Möglichkeit, Lebensräume für O. cancellatum neu zu schaffen beziehungsweise zu erhalten, ist es beispielsweise, Gewässerkomplexe in Abgrabungsflächen nach dem Rotationsmodell von Wildermuth & Schiess (1983) und Wildermuth (1994) zu pflegen. Hierbei werden die Gewässer, die im Laufe der Sukzession verlandet sind, entschlammt. Dies geschieht jedoch in den einzelnen Gewässern nicht zum gleichen Zeitpunkt, sondern zeitlich versetzt. Hierdurch entsteht ein räumliches und zeitliches Nebeneinander unterschiedlicher Sukzessionsstadien, was zumindest einem Teil der Population jeweils das Überleben sichert. Weiterhin wirken sich auch Fließgewässerrenaturierungen positiv aus. Durch die Dynamik in den Überflutungsbereichen natürlicher Flüsse, den ursprünglichen Habitaten der Art, entstehen immer wieder neue optimale Fortpflanzungsgewässer (Schlüpmann 2003). Gleichzeitig profitiert die Art von einer extensiven Beweidung, da hierdurch mosaikartig auch Gewässerufer mit Pionierlebensräumen entstehen.