Kleine Zangenlibelle
Onychogomphus forcipatus
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
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Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Onychogomphus forcipatus ist eine pontokaspische Art, deren Verbreitungsgebiet weite Teile West-, Mittel- und Osteuropas umfasst. In der Unterart O. forcipatus unguiculatus besiedelt die Art zudem auch Südwesteuropa und Nordwestafrika (Grand & Boudot 2006). Im Norden verläuft die Arealgrenze der Nominatform O. forcipatus forcipatus vom östlichen Belgien über den äußersten Süden der Niederlande, Norddeutschland bis nach Mittelschweden und Südfinnland (Dijkstra & Lewington 2006). Innerhalb Deutschlands ist die Art vor allem im süddeutschen Raum zu finden. Da O. forcipatus in Niedersachsen seit langem verschollen ist (Altmüller et al. 1989), verläuft die nordwestliche Arealgrenze momentan durch Nordrhein-Westfalen. In Hessen, wo historische Funde ein Vorkommen in der unteren Fulda belegen (Leonhardt 1913), galt die Art lange Zeit als ausgestorben, bevor sie 1980 an der Oberen Eder wiederentdeckt wurde (Lehmann 1980). Spätestens ab Mitte der 1980er Jahre ist die Bodenständigkeit für diese Vorkommen belegt (Schmidt et al. 1991). Aus Rheinland-Pfalz liegen alte Funde unter anderem aus dem Ahr- und Wiedtal unweit der nordrhein-westfälischen Grenze sowie aus dem Einzugsgebiet der Mosel vor (Kikillus & Weitzel 1981; Eislöffel 1989). Aktuell kommt die Art im Rhein, in der Nahe (Eislöffel 1989) und in einigen Nebenflüssen der Mosel vor. Insbesondere in der Sauer und der Our existieren größere bodenständige Vorkommen (Hand 1986; Duhr 1993; Proess 2006; Lingenfelder et al. 2007). Am Mittelrhein gelangen Einzelfunde von Exuvien der Art 1998 und 2000 an insgesamt drei Stellen zwischen Bingen und Koblenz (Freyhof et al. 1998; Geissen 2000).
In Nordrhein-Westfalen gehört O. forcipatus zu den sehr seltenen Arten. Während historische Nachweise für alle Naturräume mit Ausnahme des Weserberglandes vorliegen, ist die aktuell bekannte Verbreitung der Art auf das Süderbergland, die Niederrheinische Bucht und das Niederrheinische Tiefland beschränkt. Die meisten der Vorkommen liegen an der Oberen Eder. Daneben existieren Vorkommen an der Sieg und ihren Nebenflüssen sowie am Niederrhein. Berücksichtigt man alle aus Nordrhein-Westfalen gemeldeten Fundorte, so liegen etwa 70 % unterhalb von 200 m ü.NN und 25 % zwischen 300 und 500 m ü.NN. Von der Oberen Eder gibt es die Meldung des höchsten bekannten Vorkommens mit Bodenständigkeitsnachweisen bei etwa 410 m ü.NN.
Nach Le Roi (1915) war O. forcipatus in der ehemaligen preußischen Rheinprovinz weit verbreitet und die häufigste Flussjungfer. Funde in der Westfälischen Bucht (Kolbe 1878a; Brockhausen 1901; Westhoff 1907), am Niederrhein, im Bergischen Land sowie in der Eifel (Kolbe 1886; Remkes 1909; le Roi 1915a; Fastenrath 1932) belegen, dass die Art bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Nordrhein-Westfalen weit verbreitet gewesen sein dürfte. Bis in die 1950er Jahre hinein beobachtete H. Fastenrath O. forcipatus unter anderem am Mittel- und Unterlauf der Sieg, wo die Art in den 1930er Jahren stellenweise häufig gewesen war (Fastenrath 1934). Nachweise fehlen dann zwischen den 1960er und 1990er Jahren für das gesamte Bundesland, bevor die Art 1995 an der Oberen Eder unweit der hessischen Vorkommen auch für Nordrhein-Westfalen wiederentdeckt wurde (Belz & Fuhrmann 2000). Mittlerweile besiedelt O. forcipatus den etwa 20 km langen Abschnitt der Oberen Eder zwischen Berghausen südlich Bad Berleburg und der hessischen Landesgrenze in hoher Stetigkeit und Abundanz. Exuvienfunde belegen die Bodenständigkeit der Vorkommen. Weitere Wieder- beziehungsweise Neufunde erfolgten am Rhein und an der Mittleren Sieg (2004) sowie an deren Nebenfluss Agger (2006), der Wiehl (2005) und der Wupper (2009). Die Bodenständigkeit ist für den Rhein durch den Fund von Exuvien belegt (vgl. Linke & Fartmann 2009). Die Art befindet sich derzeit in der Ausbreitung und wurde beispielsweise in der Ruhr bei Arnsberg mit einer eigenständigen Population nachgewiesen (Stemmer schriftl. Mitt.). Auch wurde sie in der Wurm beobachtet, einem Nebenbach der Rur, an deren Unterlauf auf niederländischer Seite bereits zuvor O. forcipatus nachgewiesen worden war (Geraeds & Hermans 2000).
Ob O. forcipatus zwischen den 1960er und 1990er Jahren in Nordrhein-Westfalen ausgestorben war oder lediglich übersehen wurde, lässt sich nicht eindeutig belegen. Die starke Zunahme der Nachweise seit 1995 lässt sich jedoch nicht ausschließlich durch eine erhöhte Beobachterdichte erklären, so dass eine tatsächliche Zunahme der Bestände der Art anzunehmen ist. Ab den 1980er Jahren kam es zu einem Rückgang der organischen Belastung in vielen Gewässern, was die (Wieder-)Ausbreitung der Art stark gefördert haben dürfte. Darüber hinaus hat O. forcipatus vermutlich im eher sommerkühlen Bergland auch vom Anstieg der sommerlichen Temperaturen profitiert.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Geeignete Fortpflanzungshabitate von Onychogomphus forcipatus finden sich in Nordrhein-Westfalen vor allem in den größeren Bächen und kleineren bis mittleren Flüssen der Mittelgebirgslandschaften. Hier ist sie in der Regel die einzige Flussjungfer, die diese Abschnitte besiedelt. Der Gewässergrund besteht zumeist aus kiesig-sandigen und steinigen Substraten. Die Gewässertiefen und Strömungsgeschwindigkeiten können auch auf kleineren Strecken stärker variieren. Flache, schnell fließende Stromschnellen und strömungsberuhigte Kolke wechseln sich ab und oftmals kommt es zur Ausbildung einer Riffle-Pool-Morphologie. Leise et al. (1994) fanden die Art an der Oberen Eder vor allem unterhalb von Ausleitungsstrecken und Wehren, wo durch Wasserverwirbelungen zumeist hohe Sauerstoffgehalte zu finden sind. Die Präferenz sauerstoffreicher Gewässer wird auch aus anderen Teilen Mitteleuropas beschrieben (Sternberg & Buchwald 2000). Der von O. forcipatus dicht besiedelte Abschnitt der Oberen Eder zeigt keine organischen Belastungen und zeichnet sich durch eine geringe Nährstofffracht aus (Ehlert & Pottgiesser 2001). Imagines sind sowohl an der Unteren Sieg als auch an der Oberen Eder häufig im Bereich von besonnten Kiesbänken zu beobachten, wo die Männchen Sitzwarten am Ufer besetzen (Fastenrath 1934; Belz 1997). Größere Flüsse und Ströme wie der Rhein werden in Nordrhein-Westfalen bislang nur vereinzelt von O. forcipatus besiedelt. Die Art findet sich hier in geringen Dichten in strömungsberuhigten Bereichen von Zwischenbuhnenfeldern, Seitenarmen oder hinter Inseln. Inwieweit O. forcipatus bis etwa Anfang des 20. Jahrhunderts auch in den Tieflandflüssen der Westfälischen Bucht vorkam, kann anhand der historischen Funde nicht mehr eindeutig belegt werden. Momentan gibt es in diesen Fließgewässern keine bekannten Vorkommen. Während für Nordrhein-Westfalen bislang ausschließlich Nachweise aus Fließgewässern bekannt sind, besiedelt O. forcipatus in anderen Teilen Mitteleuropas auch Stillgewässer, so beispielsweise in der jungpleistozänen Seenlandschaft Nordostdeutschlands (Mauersberger & Petzold 2002).
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Zur Phänologie von Onychogomphus forcipatus liegen aus Nordrhein-Westfalen lediglich wenige Beobachtungen vor. Demnach dürfte die Schlupfzeit der Art im allgemeinen Anfang Juni beginnen. Der früheste Exuvienfund vom Oberlauf der Eder stammt vom 07.06.(1998). Exuvienfunde vom Rhein bei Düsseldorf stammen überwiegend aus dem Zeitraum Anfang Juni bis Anfang Juli. Dass die Flugzeit der Art in tieferen Lagen zumindest in warmen Jahren bereits im Mai beginnen kann, belegen die Exuvienfunde von H. Fastenrath am 19.05. und am 30.05.(1946) vom Unterlauf der Sieg. Der späteste Exuviennachweis für Nordrhein-Westfalen datiert auf den 18.08.(2008) am Rhein bei Zons. Die Hauptflugzeit der Art liegt zwischen Ende Juni und Ende Juli, die Anzahl der Beobachtungen nimmt dann ab Anfang August deutlich ab. Der späteste Nachweis gelang Fastenrath (1933) am 06.09.(1933).
Gefährdung und Schutz
Onychogomphus forcipatus steht in Deutschland auf der „Vorwarnliste“ (Ott et al. 2015) und ist in Nordrhein-Westfalen „vom Aussterben bedroht“ (Conze & Grönhagen 2011).
Der starke Rückgang der Art im 20. Jahrhundert in Nordrhein-Westfalen ist vor allem auf den Ausbau vieler Fließgewässer zurückzuführen. Insbesondere die tiefgreifende Veränderung der Strömungs- und Substratverhältnisse durch Uferverbauungen und Querbauwerke haben hierzu beigetragen. Auch Geschiebeentnahme dürfte vielerorts zum Rückgang der Art durch Zerstörung geeigneter Larvalhabitate geführt haben. Nach Belz (1997) werden die Lebensräume von O. forcipatus an der oberen Eder auch heute noch durch das Abbaggern von Kiesinseln beeinträchtigt. Darüber hinaus hat vermutlich auch die stoffliche Belastung vieler Fließgewässer beispielsweise durch Nährstoffe zum Rückgang der Art geführt. Eine intensive Freizeitnutzung kann zumindest lokal erhebliche Verluste der Art verursachen, wie Untersuchungen an süddeutschen Flüssen belegen (Sternberg & Buchwald 2000). Von Renaturierungsmaßnahmen kann die Art dann profitieren, wenn es gelingt, die ursprüngliche Geschiebedynamik zumindest ansatzweise zu reaktivieren. Dies kann vor allem durch den Rückbau von Uferbefestigungen, eine Reduzierung von Unterhaltungsmaßnahmen und eine Wiederaufweitung ausgebauter und eingetiefter Fließgewässer geschehen. So kam es nach entsprechenden Renaturierungsmaßnahmen am Obermain zu einer Wiederbesiedlung durch die Art (Schlumprecht et al. 2004). Auch Totholz führt auf Grund morphodynamischer Wirkungen zu einer Erhöhung der Substratvielfalt. Das Belassen von Totholz und Genist in den Gewässern fördert dementsprechend die Besiedlung durch O. forcipatus und andere Flussjungfern (Lohr 2010). Eine weitere wichtige Schutzmaßnahme stellt auch die Reduzierung stofflicher Belastungen wie solcher durch Nährstoffe und Salzeinleitungen (z. B. in die Oberweser) dar.