Zierliche Moosjungfer
Leucorrhinia caudalis
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Leucorrhinia caudalis ist eine eurosibirische Art, deren Areal von Frankreich bis nach Westsibirien reicht (Dijkstra & Lewington 2006). Die Art gilt als eine der seltensten Libellen Mitteleuropas (vgl. Schorr 1996; Trockur & Didion 1999; Mauersberger et al. 2003). In Belgien und den Niederlanden galt L. caudalis an allen historischen Fundorten über viele Jahre hinweg als ausgestorben (NVL 2002), konnte jedoch in den letzten Jahren wieder an der belgisch-niederländischen Grenze bei Maastricht beobachtet werden (Huskens 2006, Bouwman et al. 2008). 2010 gelang im Gebiet De Weerribben der erste Reproduktionsnachweis für die Niederlande nach ca. 40 Jahren (Muusse & Veurink 2011).
Der Verbreitungsschwerpunkt der Art in Deutschland liegt in den jungpleistozänen Seenlandschaften von Süd-Mecklenburg und Nord-Brandenburg, in zahlreichen deutschen Bundesländern ist sie ausgestorben oder wurde nie nachgewiesen (Müller & Schorr 2001; Mauersberger et al. 2003). Jüngste Nachweise aus Gebieten, in denen L. caudalis bisher nicht festgestellt wurden, scheinen auf eine Ausbreitung der Art hinzuweisen (Mauersberger et al. 2003; Mauersberger 2009). So konnte sie vor einigen Jahren in Hessen und Sachsen-Anhalt erstmalig beobachtet werden (Stübing et al. 2009, Müller et al. 2010).
L. caudalis gehört in Nordrhein-Westfalen mit lediglich drei alten Nachweisen sowie mindestens einem aktuellen bodenständigen Vorkommen zu den extrem seltenen Arten. Historisch liegt aus dem Rheinland nur ein alter Fund aus den Stallberger Teichen bei Siegburg (heutiges NSG Gagelbestand) [5109/3] aus dem Jahr 1941 vor (Kikillus & Weitzel 1981).
Aus dem westfälischen Landesteil gab es zwei alte Nachweise im Münsterland. L. caudalis konnte im Jahr 1912 mehrfach am heutigen NSG Huronensee [3911/4] (Schmidt 1913, 1926; Gries & Oonk 1975) und zwischen 1937 und 1956 im heutigen NSG Heiliges Meer [3611/2+4] beobachtet werden (Beyer 1938, 1956, Steiner 1948). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Art darüber hinaus auch im Koningsveen (NL) bei Frasselt [4201/4] unmittelbar an der nordrhein-westfälischen Grenze festgestellt (Höppner 1912; le Roi 1915a; Ketelaar & Bouwman 2008).
Nachdem L. caudalis in Nordrhein-Westfalen über 50 Jahre als ausgestorben galt (Schmidt & Woike 1999), konnte sie seit 2008 in der Braunkohlenrekultivierung der Ville bei Brühl [Villenhofer Maar, 5107/3] wiederentdeckt werden (Menke & Olthoff 2008; Olthoff et al. 2011). Am Obersee gelang am 03.06.2008 die Beobachtung eines frisch geschlüpften Männchens von L. caudalis. Am Villenhofer Maar konnte am 09.06.2008 erstmalig ein Männchen der Art gesichtet werden. An diesem Gewässer wurde sie in den Folgejahren an mehreren Terminen von Mai bis Juli festgestellt, wobei 2010 mehr als 30 Exuvien gesammelt und 2011 mehr als 50 Individuen gesichtet werden konnten. Ferner konnte die Art 2010 durch Exuvienfunde an einem weiteren Ville-Gewässer, dem Donatussee, bodenständig nachgewiesen werden. Auf Grund der Vielzahl geeigneter Gewässer in der Ville ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Art hier noch an anderer Stelle bodenständig vorkommt.
Darüber hinaus konnten am 11.06.2011 zwei Männchen von L. caudalis an einem ehemaligen Baggersee im Kreis Minden-Lübbecke [3619/2] beobachtet werden. Die Art konnte am 02.06.2013 mit einer Exuvie am Badesee in Saerbeck [3811/2] im Kreis Steinfurt nachgewiesen werden, was eine Ausbreitung der Art vermuten lässt. Der Fund wurde erst nach Fertigstellung der Verbreitungskarten bekannt, so dass er noch nicht dargestellt ist.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
In Deutschland bevorzugt Leucorrhinia caudalis kleinere bis mittelgroße, mesotrophe Wald-Seen und Altwässer mit ausgeprägter submerser Vegetation und Verlandungszonen mit lichten Röhrichten aus Phragmites australis (Schilf) und Typha spp. (Rohrkolben). Schwimmblattvegetation mit Nymphaea alba (Weiße Seerose) oder Nuphar lutea (Gelbe Teichrose) ist günstig, jedoch keine Voraussetzung. Fast immer sind Gebüsche und Bäume am Ufer vorhanden, die auch als Reife- und Ruhehabitat dienen. L. caudalis hat eine ausgeprägte Präferenz für intakte Altarme sowie strukturell ähnliche Baggerseen in Flussauen.
Die aktuellen bodenständigen Funde in Nordrhein-Westfalen stammen aus dem Ville-Seengebiet bei Köln, einer Folgelandschaft des Braunkohleabbaus. Nach der Beendigung des Tagebaues Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Restlöcher übrig geblieben, die sich mit Wasser füllten. Die entstandenen Seen haben Größen von 1 bis 50 ha und weisen Wassertiefen zwischen 1 und 15 Metern auf. Nach der forstlichen Rekultivierung sind die Seen heute in eine Waldlandschaft eingebettet, die einen Nährstoffeintrag von außen minimiert.
Die Ville-Gewässer mit aktuellen Nachweisen von L. caudalis sind zwischen fünf und zehn Hektar groß, haben zumindest in Teilbereichen eine Schwimmblattvegetation, weisen eine hohe Sichttiefe auf und sind von Fischen besiedelt. Am Obersee und am Donatussee sind Röhrichtzonen aus Phragmites australis (Schilf) und Typha spp. (Rohrkolben) vorhanden, eine Unterwasservegetation ist nur wenig ausgeprägt. Am Villenhofener Maar hingegen fehlt ein Uferröhricht und die Unterwasservegetation ist stark ausgeprägt. Dies verdeutlicht, dass für ein individuenreiches Vorkommen eine ausgeprägte Unterwasservegetation ausschlaggebend ist (Olthoff et al. 2011).
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Auf Grund der wenigen Nachweise lassen sich über die Phänologie von Leucorrhinia caudalis in Nordrhein-Westfalen keine umfassenden Aussagen treffen. Die wenigen Beobachtungen aus Nordrhein-Westfalen stammen aus dem Zeitraum zwischen Anfang Mai und Mitte Juli. Sie liegen damit in der Hauptflugzeit der Art im Osten Deutschlands, wo sie von Anfang Mai bis Anfang Juni schlüpft und bis Ende Juli fliegt (Mauersberger et al. 2003).
Gefährdung und Schutz
Leucorrhinia caudalis gilt in Deutschland als „stark gefährdet“ (Ott et al. 2015) und für Nordrhein-Westfalen ist die Datenlage für eine Gefährdungseinschätzung auf Grund der aktuellen Neufunde unzureichend (Conze & Grönhagen 2011). Die Art ist im Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgeführt und gehört zu den streng geschützten Arten.
L. caudalis war im 20. Jahrhundert in Nordrhein-Westfalen an zwei Fundstellen etabliert, ist dort aber vor einem halben Jahrhundert verschwunden. Folgerichtig wurde sie in der alten Roten Liste von Nordrhein-Westfalen als „ausgestorben“ eingestuft (Schmidt & Woike 1999). Dass L. caudalis ein beachtliches Ausbreitungs- und Wiederbesiedlungspotential besitzt, bezeugen die aktuellen Nachweise in Nordrhein-Westfalen sowie weitere Neufunde aus anderen Bundesländern. Ob die Art in den Braunkohletagebauseen der Ville eine langfristig stabile Population aufbauen kann, ist in den nächsten Jahren zu überprüfen.
Als typische Art größerer Stillgewässer mit ausgeprägter Verlandungsvegetation ist L. caudalis, wie alle anderen Libellenarten, durch die Zerstörung der Flussauen betroffen. Die Art profitiert von der Renaturierung von Altwässern und von Abgrabungsgewässern, wenn sich naturnahe Vegetationsstrukturen mit einer ausgeprägten Unterwasservegetation entwickeln können. Durch die Anlage steiler Uferbereiche wird die Ausbildung naturnaher Vegetationsbestände verhindert. Das Zulassen einer Waldentwicklung ist förderlich und verhindert unerwünschte Nährstoffeinträge. Störend ist ein zu hoher Freizeitdruck, der zu einer Zerstörung der Unterwasser- und Ufervegetation führt. Als weiteres großes Problem für L. caudalis ist der Besatz mit benthivoren Fischen (u. a. Karpfen) zu sehen, welche die Unterwasservegetation abfressen und für trübes Wasser sorgen (Bierwirth 1993; Mauersberger et al. 2003).