Südliche Binsenjungfer
Lestes barbarus
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
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Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Lestes barbarus ist eine holomediterran verbreitete Art, deren Verbreitungsgebiet von Nordafrika über die Iberische Halbinsel, Italien und das südliche Mitteleuropa reicht und sich ostwärts bis Indien und die Mongolei erstreckt (Schorr 1990, Askew 2004). Die Nordgrenze des europäischen Verbreitungsareals stellen die Nord- und Ostsee dar (Dijkstra & Lewington 2006); aktuelle Nachweise aus Südengland deuten jedoch auf eine nördliche Arealerweiterung hin (Corbet & Brooks 2008). Sowohl in den Niederlanden und Belgien als auch in Deutschland ist L. barbarus eine zerstreut vorkommende Art, die vielerorts nur vorübergehend auftritt (Jödicke 1997, NVL 2002, de Knijf et al. 2006).
Lestes barbarus gehört in Nordrhein-Westfalen zu den mäßig häufigen Arten. Hier besitzt sie im Flachland, insbesondere in der Westfälischen Bucht, eine lockere Verbreitung, während die höheren Lagen des Sauer- und Siegerlandes sowie der Eifel weitgehend gemieden werden (Schlüpmann 2000b). Dass es sich dort trotz der geringeren Kartierintensität um echte Verbreitungslücken handelt, zeigen die - mit Ausnahme eines Einzeltieres (Behle et al. 2005) - fehlenden Meldungen auch aus vergleichsweise gut untersuchten Bereichen wie dem Siegerland (Belz & Fuhrmann 2000). Die Ursache hierfür ist in den klimatischen Faktoren, in erster Linie den geringeren Temperaturen, zu sehen. Während die Art in der älteren Literatur oftmals als selten beschrieben oder mit Einzelvorkommen, kleineren Populationen beziehungsweise als temporärer Besiedler aufgeführt wurde (z.B. Kolbe 1886; Gries & Oonk 1975; Kikillus & Weitzel 1981; Schorr 1990), ist L. barbarus im Flachland mittlerweile weiter verbreitet und regelmäßiger anzutreffen. Im Norden des Verbreitungsgebietes erweisen sich Ansiedlungen allerdings oftmals als kurzlebig, wobei selbst Gewässer mit größeren Schlupfzahlen mitunter bereits nach wenigen Jahren wieder verwaisen können (Jödicke 1997). Hinweise auf ein ebenfalls kurzfristiges Vorkommen in früherer Zeit gibt Becker (1961), wonach die im Allgemeinen seltene Art „im Jahr 1913 bei Bielefeld sehr häufig“ war.
Gries & Oonk (1975) und Kolbe (1886) beschreiben die Art für Westfalen bzw. das Münsterland als selten. Kikillus & Weitzel (1981) betonen die extremen Populationsschwankungen im Rheinland, nach le Roi (1915) kam die Art dort sehr lokal, aber stellenweise häufig vor.
Lestes barbarus tritt zumeist mit jahrweise stark wechselnder Häufigkeit auf (z.B. Joest 2002). Da wenigstens ein Teil der Individuen als Anpassung an den unsteten Charakter der Fortpflanzungshabitate zu ausgeprägten Wanderungen und zur opportunistischen Besiedlung geeigneter Gewässer neigt, bleibt unklar, inwieweit lokale Vorkommen der Art in Nordrhein-Westfalen auf Zuwanderungen oder auf bodenständigen Populationen beruhen (vgl. Jödicke 1997, Sternberg & Buchwald 1999).
Bodenständige Vorkommen sind bis zu einer Höhe von 270 m ü.NN (NSG Auf dem Beerenbruch [4121/4]), Imagines ohne Hinweis auf Reproduktion bis 520 m ü.NN (NSG Patersweiher [5404/4]) nachgewiesen.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Die von Lestes barbarus besiedelten Gewässer sind durch eine geringe Wassertiefe, eine zumeist geringe Größe und einen stark schwankenden Wasserstand gekennzeichnet. Nicht selten kommt es zu einer vollständigen Austrocknung im Spätsommer. Dabei ermöglicht die geringe Wassertiefe und eine gute Besonnung ein schnelles Erwärmen der Gewässer, was zu einer beschleunigten Larvalentwicklung führt. Charakteristisch ist darüber hinaus eine niedrige, gehölzfreie Vegetation, die eine volle Besonnung des Gewässers gewährleistet. Die Fortpflanzungsgewässer von L. barbarus weisen in Nordrhein-Westfalen häufig eine ausgeprägte Verlandungszone mit niedrigwüchsigen Röhrichtbeständen aus Eleocharis spp. (Simsen) oder Juncus spp. (Binsen) auf, deren Stängel der Art sowohl als Eiablagesubstrat als auch als Ansitzwarte dienen. Dabei kann es auch zur Eiablage in die Ufervegetation vollständig ausgetrockneter Gewässer kommen. Laut Jödicke (1997) erkennt L. barbarus offenbar am Charakter der Vegetation den potentiellen Lebensraum für die Larven.
Als weit umherwandernde Art findet sich L. barbarus schnell an neu angelegten Kleingewässern ein, so dass sie als Pionierart bezeichnet werden kann (vgl. Lohmann 1980). Im Westmünsterland wurden an neu angelegten Feuchtwiesenblänken bereits nach zwei Jahren bodenständige Vorkommen von L. barbarus festgestellt (Olthoff & Ikemeyer 2002). Die Ufervegetation der Fortpflanzungsgewässer war durch das Vorhandensein nur weniger Binsenstängel gekennzeichnet, an denen sowohl die Exuvien als auch die Eiablage beobachtet werden konnten.
Zumindest ein Teil der von Utzeri et al. (1984) in Italien untersuchten Populationen von L. barbarus wies allerdings eine hohe Brutplatztreue auf und war wenig mobil. Ob die Art dieses Verhalten auch an seiner nördlichen Arealgrenze zeigt, kann hier nicht sicher gesagt werden. Diese scheinbar widersprüchlichen Beobachtungen von einerseits ortstreuen und andererseits mobilen L. barbarus-Populationen deutet Jödicke (1997) mit einem unterschiedlichen Verhalten von Individuen innerhalb einer Population. Demnach verhält sich ein Teil der Population brutplatztreu, während andere Individuen neue Fortpflanzungsgewässer aufsuchen.
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Der jahreszeitlich früheste Nachweis von Lestes barbarus in Nordrhein-Westfalen erfolgte am 21.05.(1992), der späteste am 20.10.(2004). Die Emergenzperiode erstreckt sich hauptsächlich auf die erste und zweite Junidekade, erst ab Mitte Juli nimmt die Anzahl der Imaginalbeobachtungen deutlich zu, so dass von einer mehrere Wochen umfassenden Reifephase ausgegangen werden kann.
Gefährdung und Schutz
Lestes barbarus wird in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen aktuell als „ungefährdet“ eingestuft (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011)
In Nordrhein-Westfalen profitiert die Art in den letzten drei Jahrzehnten von der Anlage von Naturschutzgewässern, wobei insbesondere Feuchtwiesenblänken (Schmidt & Woike 1999, Olthoff & Ikemeyer 2002) und Laubfroschgewässer (Schmidt 2005) hervorzuheben sind. Die Anlage von landesweit schätzungsweise über 1.000 Gewässern, die im Rahmen des Feuchtwiesenschutz- und Laubfroschprogramms („Ein König sucht sein Reich“) angelegt wurden, hat L. barbarus gefördert und den Verlust von Kleingewässern in der „Normallandschaft“ (vgl. Pardey et al. 2005) zumindest partiell ausgleichen können.
Diese Naturschutzprogramme zeigen, dass der Art durch die Anlage von im Sommer zumindest partiell trockenfallenden Gewässern gezielt geholfen werden kann. Die Uferbereiche sollten zur Schaffung großer Verlandungsbereiche flach ausgestaltet sein. Eine derartige Naturschutzmaßnahme wirkt sich darüber hinaus positiv auf weitere gefährdete Libellenarten wie Lestes dryas (Glänzende Binsenjungfer) und Sympetrum flaveolum (Gefleckte Heidelibelle) aus (z.B. Olthoff & Ikemeyer 2002, Schmidt 2005).
Als Schutz für die Art wäre neben der Anlage von Kleingewässern insbesondere die Renaturierung der Flussläufe wünschenswert, da durch eine natürliche Auendynamik die benötigten temporären Gewässer und Flutmulden von selbst entstehen und offen gehalten werden.
Mit der Anlage zahlreicher Naturschutzgewässer wurde L. barbarus im Tiefland ein Netz besiedelbarer Gewässer zur Verfügung gestellt. Dieses kann - bei weiterem Ausbau und der geeigneten Gewässerpflege - das Überleben einer regionalen Population im Sinne eines Metapopulationskonzeptes auch mittel- und langfristig sichern, selbst wenn einzelne Vorkommen dabei nur wenige Jahre besetzt sind (Sternberg & Buchwald 1999).