Gemeine Keiljungfer
Gomphus vulgatissimus
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Gomphus vulgatissimus ist eine pontokaspische Art, deren Verbreitung sich von der französischen Atlantikküste im Westen über ganz Mitteleuropa bis zum Ural im Osten erstreckt. Im Süden reicht das europäische Areal bis nach Mittelitalien und Südgriechenland, im Norden bis nach Südfinnland (Dijkstra & Lewington 2006; Suhling & Müller 1996). Auch in Deutschland ist die Art weit verbreitet und es liegen Nachweise aus allen Bundesländern vor (Brockhaus et al. 2015). In den Niederlanden und in Belgien besiedelt G. vulgatissimus schwerpunktmäßig die an Nordrhein-Westfalen angrenzenden östlichen Landesteile (NVL 2002, de Knijf et al. 2006).
Gomphus vulgatissimus gehört noch zu den seltenen Arten in Nordrhein-Westfalen. Die Art weist einen Verbreitungsschwerpunkt in der Westfälischen Bucht auf, wo die Funde sich vor allem auf die Ems und deren Zuflüsse (Artmeyer 1999; Artmeyer et al. 2000; Knab et al. 2001), die Lippe (Jaworski 2007), die Berkel (Olthoff 2006) und die Ruhr konzentrieren. Entlang der größeren Ströme konnte G. vulgatissimus bislang nur am Rhein nachgewiesen werden. Dort konzentrieren sich die vorliegenden Nachweise am mittleren Niederrhein zwischen Monheim und Duisburg (Huesges 2001, Linke 2009). Die Art ist am Rhein vermutlich weiter verbreitet als in der Karte dargestellt. Bei den Flussabschnitten ohne Funde handelt es sich weitgehend um Bereiche, in denen die Art nicht gezielt gesucht wurde. Für eine ausgedehntere Besiedlung des Rheins sprechen die Nachweise aus Rheinland-Pfalz (Geissen 2000; Tittizer et al. 1989) und den Niederlanden (NVL 2002). Von dem zweiten großen nordrhein-westfälischen Strom, der Weser, sind bislang noch keine Beobachtungen bekannt. Als Besonderheit für Nordrhein-Westfalen kann die Besiedlung von mehreren Kanälen (Datteln-Hamm-Kanal, Rhein-Herne-Kanal, Dortmund-Ems-Kanal) mit zum Teil individuenreichen Populationen angesehen werden, wie entsprechende Schlupfnachweise belegen (Postler & Postler 1998; Postler & Postler 2000; Schmidt 2000). Die Art ist im Flachland vermutlich weiter verbreitet als dargestellt, was auf Kartierungslücken zurückzuführen ist. Das höhere Bergland von Nordrhein-Westfalen wird nicht besiedelt, bodenständige Vorkommen sind jedoch aus den niedrigen Lagen des Bergischen Landes aus dem Ruhr-, Wupper- und Siegtal (Kiefer 1996; Freyhof 1995) bekannt.
Bei Betrachtung der historischen Verbreitung vor 1945 lässt sich ein ähnliches Verbreitungsmuster wie heute erkennen. Ein Hauptschwerpunkt der Funde stammte ebenfalls aus dem Einzugsgebiet der Ems (Gries & Oonk 1975; Vonnegut 1938). Im Rheinland existieren größere, schon seit langem bekannte Vorkommen vor allem in der Sieg (Fastenrath 1933). Daneben gab es Einzelnachweise im Bereich der Ruhr (Rudolph 1989; Kikillus & Weitzel 1981), vermutlich waren auch weitere Gewässersysteme besiedelt. Demgegenüber liegen für den Zeitraum von 1945 bis 1995 nur vereinzelte Funde an der Ems, am Dortmund-Ems-Kanal und am Niederrhein vor (Gries & Oonk 1975; Greven 1970; Tittizer et al. 1989). Beobachtungen gelangen in diesem Zeitraum darüber hinaus am Ober- und Mittellauf der Lippe (Ant 1967). Für Nordrhein-Westfalen ist davon auszugehen, dass zwischen 1945 und 1995 ein starker Rückgang von G. vulgatissimus stattgefunden hat. So verschwand die Art nach Rudolph (mündl. Mitt.) beispielsweise an der Ems ab den 1970er Jahren auch an naturnahen Abschnitten. Für den Bestandsrückgang ist vor allem die Verschmutzung der Fließgewässer verantwortlich zu machen (s.u.). Ende der 1980er Jahre konnte Rudolph (mündl. Mitt.) dann eine allmähliche Wiederausbreitung der Art an der Ems feststellen. Für diese Zeit wurde in Niedersachsen ebenfalls eine Zunahme der Funde dokumentiert (Suhling & Müller 1996).
Gomphus vulgatissimus gehört derzeit zu den Libellenarten mit einer positiven Bestandsentwicklung. Die Zunahme an aktuellen Nachweisen kann sicherlich auch auf eine verstärkte Kartieraktivität zurückgeführt werden. Als wichtigster Faktor ist aber die Verbesserung der Wasserqualität der nordrhein-westfälischen Flüsse und Bäche zu nennen. Während beispielsweise weite Emsabschnitte 1970 noch eine kritische Belastung (Güteklasse III) aufwiesen, ist dieser Fluss größtenteils auf Grund der zunehmenden Abwasserklärung derzeit nur noch mäßig belastet (Güteklasse II) (MUNLV & LUA 2000). Ähnlich positive Tendenzen lassen sich auch für einen Großteil der nordrhein-westfälischen Flüsse aufzeigen. Als eine weitere Ursache für die Zunahme von G. vulgatissimus und anderen Arten der Gattung Gomphus führen Eggers et al. (1996) auch klimatische Faktoren an.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Gomphus vulgatissimus besiedelt vor allem die Tieflandbäche und -flüsse in Nordrhein-Westfalen. Die Larven leben eingegraben im Gewässerboden und bevorzugen sandiges Substrat mit Detritusauflage (Suhling & Müller 1996; Müller 1995). Die Präferenz für eher feinkörniges Sediment ist vermutlich der Grund für das Hauptvorkommen in der Westfälischen Bucht, wo der Großteil der Bäche und Flüsse sandiges Sohlsubstrat aufweist. Die Ausprägung der Ufervegetation spielt für die Besiedlung eines Gewässers eine untergeordnete Rolle. In Nordrhein-Westfalen konnten Exuvien sowohl an offenen, unbeschatteten als auch an bewaldeten Uferbereichen gefunden werden. Die Schlupforte befinden sich teilweise mehrere Meter von der Wasserlinie entfernt (Artmeyer 1999; Linke 2009). Die Exuvien lassen sich vor allem leicht an den strukturarmen Oberflächen von steilen Uferabbrüchen, Brückenpfeilern, Spundwänden und Steinschüttungen entdecken.
Entgegen der früheren Ansicht, dass die Art nur an Fließgewässern mit einer naturnahen Gewässerstruktur zu finden ist, zeichnen sich zahlreiche der aktuell besiedelten Flüsse und Bäche in Nordrhein-Westfalen durch naturferne Eigenschaften (z. B. Regelprofil, strukturarme Gewässersohle mit seitlicher Steinschüttung) aus. Untersuchungen an der Ems ergaben, dass 60 % der nachgewiesenen Schlupforte durch eine derartige Charakteristik geprägt waren (Artmeyer 1999). Unklar ist, ob die Larven die Zwischenräume der Steinpackungen oder die steinfreie Gewässersohle besiedeln. Möglicherweise bilden gerade die Steinschüttungen ein Strömungs- und Nahrungsrefugium an der ansonsten struktur- und nahrungsarmen und von hohen Fließgeschwindigkeiten geprägten Gewässersohle. Im begradigten und ausgebauten Rhein stellen die Buhnenfelder wertvolle Ersatzhabitate mit Flachwasserzonen und Bereichen unterschiedlicher Substratkörnung dar (Linke 2009). Dass die Art in der Lage ist, Gewässer mit naturfernen Strukturen zu besiedeln, zeigen auch die Entwicklungsnachweise an den Kanälen und Beobachtungen aus anderen Bundesländern (Sternberg & Buchwald 2000). Generell besiedelt G. vulgatissimus neben Fließgewässern teilweise auch Stillgewässer (Beutler 1989; Kämpf 2003; Suhling & Müller 1996; Weihrauch 1998). Aus Nordrhein-Westfalen liegen Entwicklungsnachweise an Sandabgrabungs- und Altgewässern vor.
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Gomphus vulgatissimus gehört zu den Frühjahrsarten unter den Libellen. Der früheste Schlupfnachweis gelang Ende April, und zwar am 18.04.(2007). Die Hauptschlupfphase beginnt in der ersten Maiwoche und endet bereits Mitte bis Ende Mai. Die Hauptflugperiode erstreckt sich bis in den Juni hinein, einzelne Imagines können noch im Juli beobachtet werden, wie am 22.07.(2003). Die Larven benötigen in der Regel eine Entwicklungszeit von zwei bis vier Jahren (Müller et al. 2000). In Nordrhein-Westfalen wurde eine zweijährige Entwicklungsdauer an der Ems und eine dreijährige am Eltingmühlenbach (Münsterland) festgestellt (Artmeyer 1999; Müller et al. 2000).
Gefährdung und Schutz
Gomphus vulgatissimus wird in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als Art der „Vorwarnliste“ geführt (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011).
Gomphus vulgatissimus besiedelt zwar auch Fließgewässer mit naturfernen Uferprofilen, die Populationen an naturnahen Gewässerabschnitten sind jedoch als individuenreicher einzustufen. Zum Schutz der Art sollten daher die im Rahmen des Gewässerauenprogramms und der Wasserrahmenrichtlinie eingeleiteten Renaturierungsmaßnahmen weiter verfolgt und ausgeweitet werden. Ebenso ist eine weitere Verbesserung der Wasserqualität der Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen anzustreben.