Kleines Granatauge
Erythromma viridulum
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
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Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Erythromma viridulum ist eine holomediterran verbreitete Art, deren Areal von Spanien und Nordafrika im Westen bis nach Kasachstan im Osten reicht (Askew 2004). Nordrhein-Westfalen befand sich ursprünglich am Nordrand dieses Areals. Die Verbreitungsgrenze verschob sich jedoch in den letzten Jahrzehnten, und die Art hat mittlerweile den Süden Skandinaviens erreicht (Boudot & Kalkmann 2015). Im Jahre 1999 wurde E. viridulum erstmals in Großbritannien nachgewiesen (Dewick & Gerussi 2000), wo die Art sich seitdem in Ausbreitung befindet (Corbet & Brooks 2008). Innerhalb Deutschlands ist sie inzwischen weit verbreitet und lokal häufig.
In Nordrhein-Westfalen ist E. viridulum als häufige Art anzusehen, die überwiegend im Tiefland verbreitet ist. Eine Häufung von Vorkommen zeichnet sich in den Flusstälern ab, welche als Ausbreitungsachsen fungieren und die bevorzugten Habitate aufweisen. Abgesehen von den Randlagen fehlt E. viridulum in den Höhenlagen der Eifel sowie des Süder- und des Weserberglandes. Sehr vereinzelt dringt die Art entlang der Flüsse in höhere Lagen vor, ist dort meistens jedoch nicht bodenständig. Als Grund mag neben den klimatisch ungünstigeren Verhältnissen das Fehlen von als Eiablagesubstrat geeigneten Tauchblattpflanzen im Bergland gelten (Schlüpmann 2000b). Der höchstgelegene Fundort (ohne Bodenständigkeitsnachweis) liegt am Röspe Altarm der Eder im NSG Edertal zwischen Erndtebrück und Beddelhausen auf 470 m ü.NN. Die Art tritt regelmäßig auch innerhalb der Siedlungsbereiche auf, sofern geeignete Gewässer wie Park- oder größere Gartenteiche vorhanden sind (Loos 1989, 2000; Schmidt 1990b, 1996; Oly 1996). An optimalen Gewässern können sehr hohe Abundanzen erreicht werden. Jödicke et al. (1989) stellten an Nassabgrabungen individuenstarke Populationen mit bis zu 1.200 Imagines fest.
Der erste Nachweis für Nordrhein-Westfalen, welcher zugleich den ersten Reproduktionsnachweis darstellt, stammt aus Münster (Kolbe 1878a). In der Folgezeit erfolgten bei günstiger Witterung wiederholt Einwanderungen aus dem Süden (le Roi 1907, 1915; Schmidt 1925; Gries & Oonk 1975). Die Populationen konnten sich offensichtlich nicht über mehrere Jahre halten, sondern waren immer auf Zuwanderung angewiesen. Eine Bodenständigkeit konnte 1944 wieder belegt werden (Schmidt 1960). Die Expansion der Art in Nordrhein-Westfalen dürfte spätestens in den 1980er Jahren begonnen haben. Während Kikillus & Weitzel (1981) noch keine Häufigkeitsveränderung feststellen konnten, berichten Jödicke et al. (1989) über erste große Populationen im Jahr 1982. Jödicke & Sennert (1986) vermuteten, dass die Präsenz vorher unentdeckt geblieben war. Das ist für die ersten Jahre der positiven Bestandsentwicklung nicht auszuschließen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Expansion in den Niederlanden nach Einzelfeststellungen in den 1970er Jahren auch erst nach 1980 ein größeres Ausmaß annahm und schließlich in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreichte (Ketelaar 2002; NVL 2002). Heute gehört E. viridulum zu den häufigsten Kleinlibellen der Niederlande. Die Einwanderung nach Nordrhein-Westfalen erfolgte, wie auch in den Niederlanden, über die Rheinschiene. Zuerst besiedelt wurden die Niederrheinische Bucht und das Niederrheinische Tiefland. Von dort aus hat eine Ausbreitung entlang der Täler von Nebenflüssen, wie z. B. Ruhr und Lippe, stattgefunden. Höher und außerhalb der Flusstäler gelegene Bereiche wurden häufig erst in den 1990er Jahren besetzt, so hat beispielsweise in der Oberweserniederung die starke Bestandszunahme erst Anfang der 1990er Jahre begonnen (Lohr & Mitzka 2001). Die Arealerweiterung fällt zusammen mit der Ausbreitung anderer Arten mit Verbreitungsschwerpunkt im Mittelmeerraum, wie Erythromma lindenii (Pokaljungfer), Orthetrum brunneum (Südlicher Blaupfeil), Sympetrum fonscolombii (Frühe Heidelibelle) und Crocothemis erythraea (Feuerlibelle). Neben der Klimaerwärmung (Ott 2000; Conze et al. 2010, 2011), wird die zunehmende Gewässereutrophierung mit der dadurch bedingten Zunahme der Gewässervegetation (z.B. Algenwatten, flutende Tauchblattpflanzen) als wesentliche Ursache der Ausbreitung angesehen (Bönsel 2000; NVL 2002).
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Bevorzugt besiedelt Erythromma viridulum stehende, aber auch langsam fließende, gut besonnte Gewässer mit flutender Tauchblattvegetation oder auch Algenwatten. Zumeist handelt es sich um eutrophe, sich sommerlich stark erwärmende Habitate. Die größten Vorkommen finden sich in Nordrhein-Westfalen an Altarmen und Altwassern der Flussauen (z.B. Jödicke 1995; Artmeyer 2000), vegetationsreichen Weihern und Teichen (Hagen 1992a+b), Sekundärhabitaten wie Abgrabungsgewässern (z.B. Borcherding 1995) und zum Teil auch Regenrückhaltebecken im Dauerstau (Willigalla et al. 2003) beziehungsweise mit Kleingewässern. Regelmäßig besiedelt werden weiterhin Fischteiche, Wiesentümpel, Heideweiher, ehemalige Klärteiche, alte Fahrten der Schifffahrtskanäle (Schmidt 2004a) und Bergsenkungsgewässer. An Fließgewässern ist die Art im Bereich ruhiger Buchten, Kolke und Buhnenfelder langsam fließender Flüsse und größerer Bäche sowie an Entwässerungsgräben zu finden (z.B. Schmidt 2004a). Auch an Park- und Zierteichen wird sie in zum Teil hohen Dichten festgestellt (Schmidt 1990b, Oly 1996). In letzter Zeit wird sie auch an Gartenteichen (Loos 2000; Postler 1998) oder Moorgewässern nachgewiesen (Olthoff & Ikemeyer 2003). Größere Seen besiedelt E. viridulum in Nordrhein-Westfalen nur dann, wenn flache Buchten und Ufer mit Submersvegetation vorhanden sind. Größere Gewässer sind durch stärkeren Wellengang gekennzeichnet, welchen die Art auf Grund der engen Bindung an die Kontaktzone Submersvegetation – Wasseroberfläche nicht toleriert.
Entscheidende Habitatstruktur der Reproduktionsgewässer ist die Tauchblattvegetation, über der sich die Imagines hauptsächlich aufhalten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Vorhandensein die Wasseroberfläche durchstoßender oder schwimmender Pflanzenteile. Diese werden als Sitzwarte, Eiablageplatz und zum Schlupf genutzt. Die Eiablage erfolgt häufig an Ceratophyllum demersum (Raues Hornblatt) und Myriophyllum spp. (Tausendblatt). Daneben wurden Hydrocharis morsus-ranae (Froschbiss), Utricularia vulgaris (Gewöhnlicher Wasserschlauch), Elodea canadensis (Kanadische Wasserpest) und flutende Torfmoosrasen in Nordrhein-Westfalen als Eiablagesubstrate festgestellt (Schmidt 1960, Loos 1989, Lohr & Mitzka 2001). Die Aufzählung ist sicherlich nicht abschließend. Auch ausgedehnte Algenwatten genügen der Art offensichtlich. Zusätzlich zur Tauchblattvegetation vorkommende Schwimmblattpflanzen begünstigen die Vorkommen, reichen aber alleine nicht aus (Hunger 1998; Sternberg & Buchwald 1999). Der Schlupf erfolgt auf flottierenden Pflanzenteilen, Holzstückchen o. Ä., nur selten verwandeln sich die Larven vertikal an Halmen oder in der Ufervegetation (Schmidt 1990b). Im Gegensatz zur Schwesterart Erythromma najas (Großes Granatauge) reichen sehr kleine Gewässer zur Fortpflanzung aus, sofern die erforderlichen Habitatstrukturen vorhanden sind. Wichtig ist, dass es sich um ganzjährig Wasser führende und im Winter nicht durchfrierende Gewässer handelt. An Pioniergewässern fehlt die Art, solange die benötigten Habitatstrukturen noch nicht ausgebildet sind. Gehölze in Gewässernähe sind nicht Voraussetzung, bieten jedoch Windschutz, was den Wellenschlag mindert, und schaffen ein günstiges Mikroklima. Ruhephasen verbringt die Art nicht nur in lockeren Röhrichten und Uferhochstauden, sondern auch in niedrigen, ufernahen Gehölzen. Gänzlich in dichte Gehölzvegetation eingebettete Gewässer werden wegen der Beschattung nicht oder nur selten besiedelt.
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Erythromma viridulum fliegt später als ihre Schwesterart E. najas. Die Schlupfzeit ist recht ausgedehnt. Sie beginnt Anfang Juni, erreicht Ende Juli ihren Höhepunkt und erstreckt sich bis in den August hinein. Die Flugzeit erreicht ihr Maximum im Juli und August, nach der Hauptflugzeit von E. najas. In den Jahren 2000 bis 2003 gelangen vermehrt schon im Mai einzelne Beobachtungen. Bis Mitte September ist E. viridulum in Nordrhein-Westfalen regelmäßig zu beobachten. Der früheste Nachweis der Art gelang am 15.05.(2006), während die späteste Beobachtung vom 04.10.(1987) stammt.
Gefährdung und Schutz
Erythromma viridulum gilt in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als „ungefährdet“ (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011). Als Gefährdungsursache ist in Nordrhein-Westfalen die Beeinträchtigung der Lebensräume durch die Entfernung oder Schädigung der Submersvegetation zu nennen. Hier ist in erster Linie die vollständige Entfernung im Rahmen unsachgemäßer Gewässerunterhaltung aufzuführen, Submersvegetation sollte nach Möglichkeit immer nur partiell entfernt werden, um die Regenerationsfähigkeit zu gewährleisten. Daneben kann es zu mechanischen Schädigungen durch Sportbootverkehr, Surfer und Schwimmer kommen. (Gras-)Karpfen können Gewässer in Abhängigkeit von der Besatzdichte ebenfalls weitgehend entkrauten (Ott 1995). Lebensraumverlust durch die Trockenlegung oder den technischen Ausbau von Gewässern fällt heutzutage nicht mehr so stark ins Gewicht. Indirekt führen Bootsverkehr oder stärkerer Wind zu Verlusten, da der davon ausgehende Wellenschlag die Eiablage und den Schlupf behindert. Als Schutzmaßnahme bietet sich neben der Anlage von Kleingewässern die Schaffung von Ruhebereichen an Bade-, Angel- und Freizeitgewässern an, in denen sich ungestörte Verlandungszonen mit Schwimm- und Tauchblattgürtel entwickeln können. Hiervon profitieren zahlreiche weitere Arten.