Pokaljungfer
Erythromma lindenii
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Der Verbreitungsschwerpunkt von Erythromma lindenii liegt im westlichen Mittelmeerraum, dementsprechend wird sie als atlantomediterrane Art eingestuft. Das Verbreitungsgebiet reicht von West-, Mittel- und Südeuropa, Nordafrika und Kleinasien bis in den Nahen Osten (Dijkstra & Lewington 2006). Seit einigen Jahrzehnten ist in weiten Teilen Mitteleuropas eine starke Häufigkeitszunahme und Ausbreitung der Art zumindest auf regionaler Ebene zu beobachten. Im Norden reicht das Areal aktuell bis in die südlichen Niederlande (NVL 2002; Bouwman et al. 2008), das südliche Niedersachsen, Sachsen-Anhalt (Müller 2004), Brandenburg (Beutler 1985) und Polen (Bernard et al. 2002). Nachweise fehlen in Deutschland bislang lediglich aus den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Vorkommen in Brandenburg werden von einigen Autoren als nacheiszeitliche Relikte interpretiert, die aus einer Arealausweitung der Art während des klimatisch begünstigten Atlantikums resultieren (Beutler 1985). Während Funde von E. lindenii in Rheinland-Pfalz und Hessen für die Oberrheinebene bereits seit mehreren Jahrzehnten bekannt sind, breitete sich die Art spätestens ab den 1980er Jahren auch in weniger wärmebegünstigte Regionen aus (Niehuis 1984; Patrzich & Nitsch 1994). So wurde E. lindenii 1994 in Mittelhessen (Xylander 1996) und ab 2000 auch in Nordhessen beobachtet (Gottschalk & Stübing 2003). Im nördlich angrenzenden Oberweserraum war die Art bereits 1981 durch Steinborn (1983) im nordrhein-westfälischen Teil sowie 1989 erstmals auch für Niedersachsen nachgewiesen worden (Berthelmann 1989). Aus diesem Bundesland liegen bekannte Funde bislang fast ausschließlich in den südlichen Landesteilen (Fischer & Heink 1997). In Belgien und den Niederlanden gab es bis in die 1990er Jahre hinein lediglich wenige Nachweise von E. lindenii. Seitdem ist auch hier eine starke Zunahme der Beobachtungen zu verzeichnen. Während Vorkommen der Art in Belgien aus dem gesamten Land bekannt sind, beschränken sich diese in den Niederlanden fast ausschließlich auf die südlichen Landesteile (NVL 2002; de Knijf et al. 2006; Bouwman et al. 2008).
Erythromma lindenii gehört in Nordrhein-Westfalen zu den mäßig häufigen Arten mit einem Verbreitungsschwerpunkt in den wärmebegünstigten Flussauen von Rhein, Lippe, Ems und Oberweser. Dementsprechend finden sich die meisten Fundorte im Niederrheinischen Tiefland, der Niederrheinischen und der Westfälischen Bucht. Etwa 85 % der Fundorte liegen unterhalb von 100 m ü.NN. Im Bergland ist die Funddichte lediglich gering und die Art ist hier weitgehend auf die Tallagen beschränkt. So besiedelt sie im Weserbergland fast ausschließlich die Oberweserniederung, im Bergischen Land und im Sauerland das Ruhr- und das Möhnetal. In den 1930er Jahren wurde die Art außerdem an der Sieg nachgewiesen, wo sie seither jedoch nicht mehr beobachtet wurde. Aus der Eifel sind drei Einzelfunde bekannt, von denen zwei seit mehr als 50 Jahren nicht bestätigt werden konnten. Ihre Höhengrenze erreicht die Art momentan sowohl im Weserbergland als auch in der Eifel und im nördlichen Sauerland bei etwa 250 m ü.NN. Lediglich ein Fundort im Kreis Olpe – wo im Jahr 2006 eine Einzelbeobachtung ohne Bodenständigkeitshinweis gelang – liegt mit 360 m ü.NN höher.
Ähnlich wie in den benachbarten Regionen wurden auch in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahrzehnten eine Häufigkeitszunahme und eine lokale Ausbreitung der Art festgestellt. Nachdem der Erstnachweis für E. lindenii bereits am 22.08.1876 an der Ems bei Rheine [3710/2] erbracht worden war (Kolbe 1877), gelangen Beobachtungen im Rheinland erstmals an der Siegmündung [5208/2] Anfang des 20. Jahrhunderts (Le Roi 1907). Funde aus den folgenden Jahrzehnten stammen aus dem unteren Siegtal [5208/2] (Schmidt 1926; Fastenrath 1932, 1934). Im Jahr 1949 erfolgten dann im Rheinland Funde der Art erstmals weiter nördlich in Bonn [5208/4] (Buchholz 1950) und in den 1970er Jahren im Raum Düsseldorf [4907/1] (Kikillus & Weitzel 1981).
In Westfalen wurde die Art im Juli 1967 – erst 90 Jahre nach dem Erstnachweis – erneut wiederum an der Ems [3912/3] beobachtet (Rudolph 1976). Während in den 1970er Jahren lediglich zwei weitere Funde in der Westfälischen Bucht erbracht wurden (Gries & Oonk 1975; Rudolph 1976), folgten in den 1980er Jahren bereits acht Meldungen aus dem westfälischen Landesteil für die Art (Rudolph 1989), darunter die Erstbeobachtung für den ostwestfälischen Raum in der Oberweserniederung bei Höxter [4222/1] durch Steinborn (1983). In den 1980er Jahren zeigte die Art im Rheinland bereits deutliche Ausbreitungstendenzen, beispielsweise im südwestlichen Niederrheinischen Tiefland (Jödicke et al. 1989). Ab Ende der 1980er Jahre nahmen dann auch die westfälischen Fundmeldungen stark zu, in den tieferen Lagen sowie in den Flussniederungen dürfte die Art flächendeckend verbreitet sein. So gehört E. lindenii im Oberweserraum mittlerweile zu den häufigsten Kleinlibellenarten der Abgrabungsgewässer. Neben einer horizontalen Ausbreitung war auch eine Ausdehnung der Höhenverbreitung zu beobachten. So erfolgten die Nachweise im Sauerland oberhalb von etwa 200 m ü.NN erst seit 2003.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Erythromma lindenii besiedelt in Nordrhein-Westfalen stehende bis schwach durchströmte und meist Grundwasser beeinflusste Gewässer in wärmebegünstigter Lage, die vor allem in den größeren Flusslandschaften zu finden sind. Bevorzugt werden Uferabschnitte mit ausgedehnten Flachwasserzonen, einer sehr schütteren emersen Vegetation und einer hohen Deckung der Unterwasservegetation. Diese wird unter anderem aus Myriophyllum spicatum (Ähriges Tausendblatt), Ceratophyllum demersum (Raues Hornblatt), Elodea spp. (Wasserpest-Arten), Chara spp. (Armleuchteralgen) und Utricularia vulgaris (Echter Wasserschlauch) gebildet. Die Ufervegetation weist meist eine geringe bis mittlere Deckung auf. Die Beschattung durch Ufergehölze ist gering bis fehlend, so dass die besiedelten Abschnitte eine hohe Sonneneinstrahlung haben. Der Grundwasserzustrom bewirkt, dass die Gewässer auch im Winter nicht bis zum Grund durchfrieren. Primärlebensräume der Art sind unter anderem strömungsberuhigte, besonnte Abschnitte von Flüssen und durch Oberflächen- oder Grundwasser mit ihnen in Verbindung stehende Altwasser.
Nach den Erstfunden der Art in Nordrhein-Westfalen an Ems und Sieg (Kolbe 1877; Fastenrath 1934) boten die meisten Fließgewässer der Art zwischenzeitlich auf Grund ihrer hohen stofflichen Belastungen bis in die 1990er Jahre hinein keine zusagenden Lebensbedingungen, so dass weitere Beobachtungen entsprechend fehlen. In jüngster Zeit häufen sich wieder Nachweise an Flüssen wie der Weser, der Ems und der Niers. Beobachtungen von Eiablageverhalten in Zwischenbuhnenfeldern an der Oberweser und in der Niers geben Hinweise auf möglicherweise bodenständige Vorkommen in diesen Fließgewässern, für die Ems vermuten dies bereits Artmeyer et al. (2000). Nachweise aus Altarmen – auch von bodenständigen Vorkommen – liegen unter anderem aus der Ems- und der Lippeaue vor. An Sekundärlebensräumen werden in Nordrhein-Westfalen vor allem Abgrabungsgewässer größerer Flussniederungen besiedelt, die am Niederrhein und der Oberweser die meisten Vorkommen der Art beherbergen. Hier kann sie sehr hohe Populationsdichten erreichen. So schlüpften an einem Abgrabungsgewässer der Oberweserniederung 2001 bis zu 50 Tiere je Meter Uferlänge (Lohr & Mitzka 2001). Neben Gewässern in Kies-, Sand- und Tongruben besiedelt E. lindenii in der Niederrheinischen Bucht Seen der Braunkohlenrekultivierung (Albrecht et al. 2005). Auch Regenrückhaltebecken werden vereinzelt als Fortpflanzungsgewässer genutzt (Willigalla et al. 2003). An Schifffahrtskanälen, wie dem Dortmund-Ems-Kanal, wurde die Art ebenfalls mehrfach in mittlerer Abundanz nachgewiesen (Schmidt 2008).
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Sowohl Schlupf- als auch Flugzeit von Erythromma lindenii erstrecken sich in Nordrhein-Westfalen über einen langen Zeitraum. Die Emergenz beginnt in frühen Jahren bereits Mitte April und erreicht Ende Juli ihren Höhepunkt, die spätesten Exuvienfunde stammen aus der letzten Augustdekade. Schon wenige Tage nach den ersten Schlupfbeobachtungen finden sich ausgereifte Imagines an den Gewässern. Die Flugzeit erreicht Anfang August ihren Höhepunkt und endet in der letzten Septemberdekade, aus der nur noch sehr vereinzelt Flugbeobachtungen vorliegen. Der früheste Nachweis von E. lindenii stammt vom 19.04.(2007), der späteste vom 26.09.(2003).
Gefährdung und Schutz
Erythromma lindenii wird in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als „ungefährdet“ eingestuft (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011).Die Bestände von E. lindenii nehmen momentan zumindest regional weiter zu und eine weitere Ausbreitung ins Bergland ist zu erwarten. Eine Gefährdung der Art ist daher nicht abzusehen. Mögliche Beeinträchtigungen bestehen für die Vorkommen in Fließgewässern, wo sich die Art vielerorts nach einer Verbesserung der stofflichen Belastungen wieder etabliert hat. Jedoch wirken hier immer noch organische und anorganische Verschmutzungen. Eine Schädigung der submersen Vegetation durch Freizeitnutzung und Schiffsverkehr kann ebenfalls zum Rückgang der Art führen. Von strukturellen und stofflichen Verbesserungen an und in den Fließgewässern – beispielsweise im Rahmen von Auenregenerationsmaßnahmen – kann die Art stark profitieren.