Helm-Azurjungfer
Coenagrion mercuriale
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Coenagrion mercuriale ist ein atlantomediterranes Faunenelement, dessen Verbreitungsschwerpunkt sich in Südwesteuropa befindet (Dijkstra & Lewington 2006). Neben Nordafrika, der Iberischen Halbinsel und Italien wird auch Frankreich besiedelt. Im Süden Englands und aus Belgien sind individuenstarke Vorkommen der Art bekannt (Corbet & Brooks 2008, de Knijf et al. 2006), während aus den Niederlanden nur zwei alte Fundpunkte von C. mercuriale vorliegen (NVL 2002). In Deutschland bilden das Alpenvorland, das Oberrheintal und mehrere Auenniederungen in Nordthüringen mit einer Vielzahl von Vorkommen die Verbreitungsschwerpunkte der Art (Sternberg & Buchwald 1999, Kuhn & Buchwald 1998, Serfling et al. 2004). Nach Norden hin wird die Art seltener und individuenstarke Vorkommen sind nur noch aus Nordrhein-Westfalen und dem südlichen Niedersachsen bekannt (Conze & Göcking 2001, Altmüller & Clausnitzer 2010).
In Nordrhein-Westfalen gehört C. mercuriale zu den sehr seltenen, jedoch gleichzeitig auch am intensivsten untersuchten Libellenarten des Landes. Aktuell sind 14 Vorkommen bekannt, welche sich ausschließlich auf das Flachland beschränken. Alle Vorkommen liegen unter 100 m ü.NN und befinden sich, mit Ausnahme des NSG Thielenbruch [5008/2], in der Westfälischen Bucht bzw. dem Westfälischen Tiefland (Göcking et al. 2007). Ein Vorkommen der Art am „Emmerbach“ bei Davensberg südlich von Münster wurde bereits von Gries & Oonk (1975) für das Jahr 1939 erwähnt und im Jahre 2001 wiederentdeckt. Das größte bekannte Vorkommen der Art in Nordrhein-Westfalen liegt in der Kleinen Aue im Kreis Minden-Lübbecke [3517/4], wo bis zu 200 Tiere pro 100 m Gewässerabschnitt festgestellt werden konnten. Kleinere, aber doch bedeutende Bestandsgrößen besitzen die Vorkommen am Emmerbach, in den Emstalgräben östlich von Warendorf und im Grabensystem Tiefenriede im Kreis Minden-Lübbecke, die wie die Population im Bereich der Tallewiesen im Kreis Paderborn bereits seit rund 20 Jahren bekannt sind (Busse & Clausen 1987, Clausen 1987, Hahn 1999). Innerhalb der Westfälischen Bucht sind eine ganze Reihe weiterer Vorkommen an teils unscheinbaren Wiesengräben bekannt, so dass davon auszugehen ist, dass die Verbreitung der Art in Nordrhein-Westfalen noch nicht vollständig bekannt ist. Das älteste in Nordrhein-Westfalen bekannte und einzige rheinische Vorkommen im Thielenbruch bei Köln, welches von Kikillus & Weitzel (1981) für das Jahr 1979 als „starke bodenständige Population“ beschrieben wurde, existiert ebenfalls noch, weist aber in den letzten Jahren deutlich weniger Individuen auf (Thomas 2011).
Die Bestandsentwicklung der letzten Jahrzehnte lässt sich für Nordrhein-Westfalen nicht sicher einschätzen. Zwar konnten in den letzten Jahren eine Reihe von Vorkommen neu oder wiederentdeckt werden, doch wurden diese Bereiche vorher nicht gezielt odonatologisch untersucht. Daher ist bei gezielter Nachsuche an geeigneten Gewässern mit weiteren Vorkommen von C. mercuriale zu rechnen. Denkbar ist auch eine Zunahme der wärmeliebenden Art aufgrund der aktuellen Klimaänderung.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Coenagrion mercuriale besiedelt in Nordrhein-Westfalen bevorzugt kleinere, besonnte, möglichst grund- oder drainagewasserbeeinflusste, permanente Fließgewässer mit ausgeprägter Unter- und Überwasservegetation. Mit Ausnahme des NSG Thielenbruch [5008/2], wo die Art in einem quelligen Kalk-Flachmoor vorkommt, besiedelt sie Grabensysteme oder grabenartig ausgebaute Fließgewässer. Nur ein einziges Vorkommen existiert an einem naturnahen Fließgewässer, dem Dattelner Mühlenbach [4310/1].
Die zumindest am Grund ganzjährig eisfreien Gewässer dürfen keine zu hohe Fließgeschwindigkeit aufweisen (an den Emstalgräben: 5-30 cm/s, Häufung bei 10 cm/s) und können auch extrem flach sein (Müller 2003). Von entscheidender Bedeutung für die Besiedlung sind die Vegetationsstrukturen. Müller (2003) stellte für die Emstalgräben ein Optimum der Art bei einer Deckung krautiger, emerser Vegetation von 20-60 % fest, vereinzelt werden jedoch auch noch Deckungsgrade von über 90 % toleriert. Die Vorkommen sind gekennzeichnet durch einen Bewuchs mit Röhrichten aus Berula erecta (Berle) und Phalaris arundinacea (Rohrglanzgras), lediglich im Thielenbruch fehlen diese Vegetationsbestände. Dichte Großröhrichte beispielsweise aus Phragmites australis (Schilf) werden gemieden (Röhr 2005). Ebenso ist ein hoher Anteil an Schwimmblattvegetation aus z. B. Nuphar lutea (Gelbe Teichrose) nachteilig für die Art, da die großen Schwimmblätter den Wasserkörper beschatten und dies eine geringere Deckung der submersen Vegetation zur Folge hat. Diese ist jedoch als Larvenlebensraum von hoher Bedeutung für die Art (Müller 2003, Röhr 2005). Der Deckungsgrad der submersen Vegetation beträgt an den Emstalgräben stets mehr als 10 % mit einem Optimum bei etwa 40 %. Eine typische submerse Art in C. mercuriale-Gewässern sind in verschiedenen Gebieten Callitriche spp. (Wasserstern-Arten), im Thielenbruch die Armleuchteralge Chara vulgaris. Als für C. mercuriale nutzbare Vegetationsstruktur im Umfeld hat sich insbesondere Wiesenvegetation herausgestellt, wobei auch benachbarte Getreidefelder als Lebensraum genutzt werden. Dichte Hochstauden aus Urtica dioica (Brennnessel) und Maisfelder werden gemieden. In den meisten Gebieten benötigt die Art zur Aufrechterhaltung geeigneter Vegetationsstrukturen eine regelmäßige Nutzung beziehungsweise Pflege durch Mahd oder extensive Beweidung (Göcking et al. 2007).
Insbesondere ältere Larvenstadien von C. mercuriale halten sich zwischen der submersen Vegetation auf (Corbet 1957). Während Thelen (1992) die Larven aller Stadien überwiegend zwischen den Krautpflanzen fand, wies Röhr (2005) an vier Gewässern in Nordrhein-Westfalen die Larven im März in der Schlammschicht nach. Im April wurden Larven sowohl in der Schlammschicht als auch im Wurzelfilz kartiert, im Monat Mai konnten keine Larven mehr in der Schlammschicht nachgewiesen werden, dafür zusätzlich zum Wurzelfilz, im organischen Material und in der submersen Vegetation. Ab der dritten Maidekade, also kurz vor dem Schlupf, wurden die Larven fast ausschließlich in der submersen Vegetation gefunden. Ausnahmen bildeten Abschnitte mit starker Fazies-Bildung von Sparganium erectum (Aufrechter Igelkolben) am Emmerbach. An den Fundorten der Larven ist die Deckung der submersen Vegetation dann vergleichsweise höher (größer 30 %) als in unbesiedelten Abschnitten (deutlich unter 5 %) und die Detritusauflage ist hier deutlich geringer als in unbesiedelten Bereichen. Buchwald (1987) hält es für möglich, dass Gewässer mit Fazies-Bildung von emersen Arten wie Sparganium erectum und Glyceria maxima (Wasser-Schwaden) auch ohne submerse Vegetation besiedelt werden. In diesem Fall können die Arten durch ein dichtes Wurzelwerk und submerse Pflanzenteile den Larven geeignete Lebensräume bieten. Dies konnte am Emmerbach bestätigt werden; die Larven hielten sich hier im Wurzelfilz und im organischen Material zwischen Pflanzen von Sparganium erectum (Aufrechter Igelkolben) auf.
Die Imagines schlüpfen an senkrecht aus dem Wasser ragenden Teilen der Wasservegetation. Die Häutung erfolgt entweder unmittelbar über der Wasseroberfläche oder bis in eine Höhe von 50 cm (Röhr 2005). Als Schlupfsubstrat wurde Phalaris arundinacea (Rohrglanzgras), Sparganium erectum, Juncus acutiflorus (Spitzblütige Binse), Butomus umbellatus (Schwanenbume) sowie Equisetum fluviatile (Teich-Schachtelhalm) bevorzugt. Vereinzelt konnten Exuvien an Berula erecta (Berle), Myosotis palustris (Sumpf-Vergißmeinicht) und Carex spp. (Seggen) nachgewiesen werden (Röhr 2005).
Die Deckung der Krautpflanzen und der krautigen Makrophyten zeigte an den Schlupfplätzen im Münsterland 2004 deutliche Unterschiede zu unbesiedelten Bereichen (Röhr 2005).
Auch die mittlere Gesamtdeckung, ebenso wie die Vegetationshöhe zeigte deutliche Unterschiede zu unbesiedelten Bachabschnitten (Röhr 2005). Zur Eiablage bevorzugt C. mercuriale dichte Pflanzenbestände mit geringer Fließbewegung des Wassers (Sternberg & Buchwald 1999). Die Eier werden bevorzugt in dichte Bestände einer Vielzahl von Pflanzenarten gelegt, häufig handelt es sich dabei um untergetauchte Pflanzenteile von Arten wie Berula erecta, Mentha aquatica (Wasser-Minze) und Myosotis palustris. An Abschnitten, denen submerse Vegetationsbestände fehlen, werden auch Röhrichtpflanzen wie Butomus umbellatus oder Equisetum fluviatile zur Eiablage genutzt. Diese erfolgt submers und endophytisch. Je nach Gewässertiefe klettert das Weibchen mehrere Zentimeter am Eiablagesubstrat hinab und sticht die Eier in das Pflanzensubstrat ein. Dieser Vorgang wird unter Wasser an unterschiedlichen Stellen der Pflanze wiederholt. Das Weibchen kann länger als eine Viertelstunde untergetaucht bleiben. Das Männchen bleibt mit seinem vorderen Körperabschnitt über der Wasseroberfläche. Steigt das Weibchen so tief hinab, dass das Männchen stärker ins Wasser eintauchen müsste, koppelt dieses sich ab. Vor der Eiablage vollzieht das Tandem eine ausführliche Substratüberprüfung, bis es sich für die geeignete Eiablagestelle entscheidet (Röhr 2005).
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Der Schlupf von Coenagrion mercuriale beginnt in Nordrhein-Westfalen in der Regel Mitte Mai und dauert bis in den Juni hinein, einzelne Exuvien können jedoch auch später noch gefunden werden. Der früheste Nachweis von C. mercuriale stammt vom 09.05.(2008), während der späteste auf den 06.09.(2007) datiert ist.
Die Flugzeit zieht sich bis in den August hinein, deutliche Einbrüche bei den Individuenzahlen lassen sich aber bereits ab Anfang Juli feststellen. An besonders heißen Tagen lassen sich die Tiere in insgesamt kopfstarken Populationen noch Ende Juli in geringeren Dichten am Gewässer beobachten.
In den frühen Morgenstunden lässt sich C. mercuriale im angrenzenden Umfeld finden. Gegen 9.00-9.30 Uhr erscheinen die Männchen am Fortpflanzungsgewässer. Der Schlupf findet bei guter Witterung meist in den Morgenstunden statt (9.00-11.30 Uhr). Die meisten Paarungsräder und Tandems können bei guter Witterung am Vormittag, mit einem Maximum um die Mittagszeit, gefunden werden. Bei optimalen Witterungsbedingungen kann man bereits am Morgen ab 10.00 Uhr Paarungsräder bis in den frühen Nachmittag (15.00-16.00 Uhr) beobachten. Gegen 16.30-17.00 Uhr nimmt die Anzahl der Tiere am Gewässer stark ab; man findet die Tiere dann vermehrt in der Böschungsvegetation oder im angrenzen Umfeld (Röhr 2005).
Gefährdung und Schutz
Coenagrion mercuriale gilt in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als „stark gefährdet“ (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011). Die Art ist im Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführt und gehört zu den streng geschützten Arten. In Nordrhein-Westfalen wurden zum Schutz der Art verschiedene Gewässer mit Vorkommen der Helm-Azurjungfer als FFH-Gebiete an die EU gemeldet (vgl. Göcking et al. 2007).
Als hauptsächliche Gefährdungsursachen sind einerseits eine zu intensive und andererseits eine völlig fehlende Gewässerunterhaltung, beispielsweise durch Grundräumungen oder Ausbau, eine zu starke Vegetationsentwicklung in und an den Gewässern, fehlende oder zeitlich problematische Böschungsmahd, Beschattung durch aufkommende Ufergehölze, Grundwasserabsenkungen und temporäres Austrocknen, intensive landwirtschaftliche Nutzung des Gewässerumfeldes (z. B. Maisanbau und Eutrophierung), Eingriffe in die Abflussverhältnisse durch Anstau und Erhöhung der Fließgeschwindigkeiten durch Veränderungen des Abflussregimes zu nennen. Durch Ausbau und Veränderung des Wasserregimes kommt es auf Grund zu geringer Fließgeschwindigkeit zur Ansiedlung von Pflanzenarten, die eher für Stillgewässer typisch sind, wie beispielsweise Nuphar lutea (Gelbe Teichrose). Dies wirkt sich nachteilig für C. mercuriale aus. Auf Grund der speziellen Ansprüche der Art an ihren Lebensraum, insbesondere an die Vegetationsstrukturen, ist sie auf geeignete Pflege- und Unterhaltungsmaßnahmen angewiesen. Bleiben diese aus, wird die Art im Zuge der Sukzession durch die Entwicklung von Hochstauden- und Gehölzbeständen bzw. zu dichter Vegetation verdrängt. Die wichtigste Schutzmaßnahme ist die an den Ansprüchen der Art orientierte Pflege der Vegetation. Eine Entkrautung sollte nur nach Bedarf höchstens alle zwei bis drei Jahre abschnittsweise unter Belassen inselartiger Vegetationsbestände durchgeführt werden. Dabei sollten bevorzugt Mähkörbe verwendet werden und das Mahdgut erst nach kurzer Zwischenlagerung am Ufer entfernt werden. Räumungen dürfen nur abschnittsweise höchstens alle vier bis fünf Jahre in Beständen mit mehr als 95 % Vegetationsdeckung stattfinden. Sohlvertiefungen müssen unbedingt vermieden und Löffelbagger dürfen nicht verwendet werden. Die Böschungsmahd sollte entweder nur einseitig stattfinden oder ca. ein Drittel ungemähter Böschungsvegetation zur Erhaltung von Sitzwarten belassen werden. Eine erste Mahd sollte an sehr schmalen Gewässern bei Bedarf bereits bis Mitte Mai erfolgen, um ein zu starkes Beschatten zu verhindern, ggf. ist eine zweite Mahd im August/September möglich. Um die Eutrophierung durch angrenzende stark gedüngte landwirtschaftliche Nutzflächen zu minimieren, sollten mindestens zehn Meter breite Pufferzonen, die in der Regel als zweischürige Wiesen genutzt werden sollten, angelegt werden. Renaturierungen an Gewässern mit Vorkommen von C. mercuriale sollten nur unter Berücksichtigung der Habitatansprüche der Art erfolgen. Von Gehölzanpflanzungen ist abzusehen. Detaillierte Darstellungen der erforderlichen Pflegemaßnahmen finden sich bei Göcking et al. (2007) und Pardey et al. (2004). In einigen Gebieten werden bereits spezielle Schutzmaßnahmen durchgeführt. Zum Beispiel wurde im Gebiet Tiefenriede (Kr. Minden-Lübbecke) zwischen der Kreisverwaltung und dem zuständigen Wasser- und Bodenverband eine Kooperationsvereinbarung zur Pflege der Gräben unter Berücksichtigung der Ansprüche der Art abgeschlossen. Am Dattelner Mühlenbach hatte sich in der Vergangenheit auch eine extensive Beweidung, in die das Gewässer integriert war, als positiv für C. mercuriale herausgestellt.